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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 3.1914-1919

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2777#0417
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Vom Traumbe wußtsein. 411

dem vollen Bedeutungsgehalt des Wortes »Sinnlichkeit« gerecht,
das im volksmäßigen wie religiös-metaphysischen Sprachgebrauch
seit alters nicht sowohl die Empfänglichkeit für einen abstrakten
Anschauungsstoff als vielmehr für die Intensitäten des Empfundenen
bezeichnet, mit dem Nebensinn des möglichen Anheimfalls der Seele
nn die Peinen und Lüste des Leibes. — Unter der Wucht solcher
Tatsachen bricht jeder Versuch zusammen, den Sinnen die posody-
nische Erregbarkeit zu rauben, und wenn man ihn dennoch zu machen
pflegt, so hat man statt der empfindenden Leiblichkeit ein entleibtes
Empfinden im Auge und nimmt für lebendige Organe jener, was in
Wirklichkeit bloße Teile sind, welche aus diesem ein erkenntnis-
theoretisches Interesse herausgestuckt hat. So glaubte man neben
den sonstigen Sinnen noch einen Schmerzsinn zu finden, und so ent-
deckte man zwar keinen Wollustsinn, wohl aber immerhin den ge-
wissermaßen handgreiflichen Rest, der auch in ganz entsinnlichten
Naturen von ihm überbleibt, nämlich die Geschlechtsempfindung. Und
hier nun begab sich, was der groteske Höhepunkt der Absurdität
zu heißen verdient, daß man aus ihr die Sinnenlust überhaupt fabri-
zierte, indem man die Bestimmung traf, es habe seine geschlechtliche
Zone erregt zu sein — versteht sich »subliminal«, um im Jargon zu
reden — so oft der Leib in Düften, Klängen, Formen schwelge!1

1 In einer Zeit, wo wie heutzutage das Gewäsch über Sexus oder »Libido«
selbst ernste Forscher anzustecken droht, mag es verzeihlich sein, sich einen
Augenblick zur Widerlegung selbst solcher Thesen herbeizulassen. Die psycho-
logische Frage der Geschlechtsempfindung wäre selbstverständlich die, wie es
geschehe, daß sich die Sinnenlast in der geschlechtlichen Zone verdichten
konnte; ein Problem, dessen Lesung denkbar und möglich ist. Dagegen ist es
unmöglich, ans der Geschlechtsempfindung die »Sinnlichkeit« herzuleiten, und
war u. a. aus folgenden Gründen.

Die geschlechtliche Wollust hat nicht nur das Merkmal der Intensität,
sondern ist auch etwas Spezifisches. Wäre nun sie es, deren Zusatz den Sinnes-
empfindungen die Lustfähigkeit verliehe, so müßte diese für alle die gleiche
sein, wohingegen sie vielmehr für Auge, Ohr, Nase usw. und wiederum für die
verschiedenen Farben, Klänge, Gerüche besondere Qualität besitzt, die wir so-
fort von dem Beigeschmack unterscheiden, den sie durch mögliche Miterregung
des Geschlechtlichen bekommt (Gegensatz lüsterner und naturwüchsiger Sinn-
lichkeit, schlüpfriger und echter Kunst). — Ferner läge hier das in der gesam-
ten psychologischen Erfahrung beispiellose Faktum vor, daß ein einziger Sinn,
nämlich der des Geschlechtes, in allen anderen miterregt würde oder doch auf
irgend eine Weise «eine Qualität auf alle anderen übertrüge, während es für
die Übrigen festgestellt ist, daß sowohl Miterregungen wie gefühlsmäßige Über-
 
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