Beitrag zur Psychopathologie und Psychologie des Zeitsinns. 355
durch Bewegungen (Meumann)1. Hier entstehen sie durch entsprechende Ver-
teilung der Aufmerksamkeitstätigkeit auf die Gruppen von Bewegungsinnervationen
(»Motorisches Tätigkeitsbewußtsein«). Auch zeigen sich nach Berger [3] bei
periodischen Bewegungen die gleichen Aufmerksamkeitsschwankungen wie bei
Wahrnehmung von Sinnesreizen2.
Bei Vergleich zweier längerer Intervalle erscheint das zweite länger, obwohl
als Folge der Ermüdung eine Verkürzung erwartet werden müßte. Nach
Bendssi3 ist das daraus zu erklären, daß während der Vergleichszeit die Auf-
merksamkeitsspannung infolge der vergleichenden Tätigkeit eine viel stärkere
ist und es dadurch trotz Ermüdung zu einer stärkeren Anstrengung kommt.
Weiterhin läßt sich die Tatsache, daß erfüllte, namentlich eingeteilte Intervalle
länger erscheinen als >leere« Intervalle4, natürlich leicht aus der erhöhten
Inanspruchnahme der Aufmerksamkeitstätigkeit erklären.
Endlich ist noch ein experimentelles Ergebnis am leichtesten durch den
psychoenergetischen Mechanismus der Zeitschätzung zu erklären: das ist die
Gültigkeit des WEBERSchen Gesetzes der Unterschiedsempfindlich-
keit bei Vergleichung längerer Intervalle6. Da das WEBERsche Gesetz
nur in bezug auf Intensitätsunterschiede einen Sinn hat, müssen wir also diese
Zeitstrecken nach einem intensiv sich abstufenden Faktor bemessen. Als solcher
kommt — da der sich ebenfalls intensiv abstufende Erwartungsaffekt nach dem
früher Gesagten als allgemeine Grundlage der Zeitschätzung nicht angesehen
werden kann — wohl nur das mit dem Maß der psychischen Arbeitsleistung
steigende Tätigkeitsgefühl in Frage.
Alle diese Ergebnisse der Selbstbeobachtung und des Experiments
lassen es also im höchsten Grade wahrscheinlich erscheinen, daß es
eine Zeitgrößenschätzung gibt, die auf das mit der Dauer
eines Aufmerksamkeitsaktes oder einer Willenshandlung
sich steigernde >Tätigkeitsgefühl«, das als direkte Wahr-
nehmung psychoenergetischer Prozesse zu deuten ist,
zurückzuführen ist.
So sind wir zu dem Resultat gekommen, daß es zwei ver-
schiedene Mechanismen der Zeitgrößenwahrnehmung gibt,
Ton denen der eine durch die den primären Erinnerungsbildern und
dem Vorgang des Sich-auslebens anhaftenden sensoriellen Temporal-
1 Meumann [24] S. 321. S. auch "Wundt [39] III S. 56.
2 Berger ! 3] will dieselben ganz allgemein auf Schwankungen in der
Leistungsfähigkeit der Hirnrinde zurückführen, die sich ihrerseits aus den lang-
samen Volumenschwankungen, die sich in den Pialgefäßen finden, erklären sollen.
3 Behtjssi [2] 123.
4 Wündt [39] in 48.
5 Nach Lehmann [16] soll das Gesetz erst für Zeiten von >0,7" gelten; von
Estel u. a. 7] war früher die Gültigkeit des Gesetzes für die Zeitwahrnehmung
bestritten worden.
durch Bewegungen (Meumann)1. Hier entstehen sie durch entsprechende Ver-
teilung der Aufmerksamkeitstätigkeit auf die Gruppen von Bewegungsinnervationen
(»Motorisches Tätigkeitsbewußtsein«). Auch zeigen sich nach Berger [3] bei
periodischen Bewegungen die gleichen Aufmerksamkeitsschwankungen wie bei
Wahrnehmung von Sinnesreizen2.
Bei Vergleich zweier längerer Intervalle erscheint das zweite länger, obwohl
als Folge der Ermüdung eine Verkürzung erwartet werden müßte. Nach
Bendssi3 ist das daraus zu erklären, daß während der Vergleichszeit die Auf-
merksamkeitsspannung infolge der vergleichenden Tätigkeit eine viel stärkere
ist und es dadurch trotz Ermüdung zu einer stärkeren Anstrengung kommt.
Weiterhin läßt sich die Tatsache, daß erfüllte, namentlich eingeteilte Intervalle
länger erscheinen als >leere« Intervalle4, natürlich leicht aus der erhöhten
Inanspruchnahme der Aufmerksamkeitstätigkeit erklären.
Endlich ist noch ein experimentelles Ergebnis am leichtesten durch den
psychoenergetischen Mechanismus der Zeitschätzung zu erklären: das ist die
Gültigkeit des WEBERSchen Gesetzes der Unterschiedsempfindlich-
keit bei Vergleichung längerer Intervalle6. Da das WEBERsche Gesetz
nur in bezug auf Intensitätsunterschiede einen Sinn hat, müssen wir also diese
Zeitstrecken nach einem intensiv sich abstufenden Faktor bemessen. Als solcher
kommt — da der sich ebenfalls intensiv abstufende Erwartungsaffekt nach dem
früher Gesagten als allgemeine Grundlage der Zeitschätzung nicht angesehen
werden kann — wohl nur das mit dem Maß der psychischen Arbeitsleistung
steigende Tätigkeitsgefühl in Frage.
Alle diese Ergebnisse der Selbstbeobachtung und des Experiments
lassen es also im höchsten Grade wahrscheinlich erscheinen, daß es
eine Zeitgrößenschätzung gibt, die auf das mit der Dauer
eines Aufmerksamkeitsaktes oder einer Willenshandlung
sich steigernde >Tätigkeitsgefühl«, das als direkte Wahr-
nehmung psychoenergetischer Prozesse zu deuten ist,
zurückzuführen ist.
So sind wir zu dem Resultat gekommen, daß es zwei ver-
schiedene Mechanismen der Zeitgrößenwahrnehmung gibt,
Ton denen der eine durch die den primären Erinnerungsbildern und
dem Vorgang des Sich-auslebens anhaftenden sensoriellen Temporal-
1 Meumann [24] S. 321. S. auch "Wundt [39] III S. 56.
2 Berger ! 3] will dieselben ganz allgemein auf Schwankungen in der
Leistungsfähigkeit der Hirnrinde zurückführen, die sich ihrerseits aus den lang-
samen Volumenschwankungen, die sich in den Pialgefäßen finden, erklären sollen.
3 Behtjssi [2] 123.
4 Wündt [39] in 48.
5 Nach Lehmann [16] soll das Gesetz erst für Zeiten von >0,7" gelten; von
Estel u. a. 7] war früher die Gültigkeit des Gesetzes für die Zeitwahrnehmung
bestritten worden.