Vom Traumbewußtsein. 31
leb erreicht' die leise zieh'nde Barke,
Drängte mich in die geweihte Schar.
Und die Reihe war an dir zu trinken,
Und die volle Schale hobest du,
Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken ;
»Herz, ich trinke dir "Vergessen zu!«
Dir entriß in trotz'gem Liebesdrange
Ich die Schale, warf sie in die Flut,
Sie versank und siehe deine Wange
Färbte sich mit einem Schein von Blut.
Flehend küßt ich dich in wildem Harme,
Die den bleichen Mund mir willig bot.
Da zerrannst du lächelnd mir im Arme
Und ich wüßt' es wieder — du bist tot.
Stellen wir uns einen Augenblick die gleiche Situation in der
Welt der Dinge vor: am Ufer stehend sieht einer auf einem Strom
oder See einen Nachen mit Knaben und Mädchen, in ihrer Mitte
die Geliebte, treiben, und wünscht sich unter ihre Schar zu mischen.
Er würde wohl winken und rufen, wenn aber nicht, so jedenfalls
den Entschluß fassen, den Nachen schwimmend zu erreichen, darauf
ins Wasser springen, den Zwischenraum durchmessen und sich am
Boot in die Höhe ziehen. So oder ähnlich, nur mit anschaulicher
malenden Worten, beschriebe es sicher ein Autor, dem es nicht be-
schieden ward, vom geflügelten Boten der Götter geleitet zu sein.
C.F.Meyer aber taucht in die Tiefen des Traumbewußtseins,
und da geschieht nun etwas ganz anderes. Auf das Erblicken des
Nachens und das Vernehmen des sehnsüchtig lockenden Gesanges
folgt ohne Dazwischenkunft eines Willensaktes und der vollziehenden
Handlung — Zeichen des pathischen ErgrifFenseins vom Strom der
Erscheinungen — ein selber fast wellenhaftes Gleiten in die Welle,
und kaum, daß ein Schauder den Träumer das Element der geister-
haften Flut empfinden läßt, so hat er auch schon die ziehende Barke
erreicht, so drängt er sich schon — man weiß nicht, entstieg er der
Flut? — in die »geweihte Schar«. Man versetze sich ganz in das
vom Dichter Gebotene, und man wird zugeben, daß hier nicht ein-
mal ein Vorgang, geschweige denn eine Leistung beschrieben wird,
sondern daß wir beiwohnen dem ursachlosen Erscheinungswandel,
u» welchem für das Bild des Träumers am Ufer nacheinander die
Bilder des Träumers in der Flut und des Träumers unter der Schar
im Boot aufleuchten. Hypostasieren wir auf Grund der Identität
leb erreicht' die leise zieh'nde Barke,
Drängte mich in die geweihte Schar.
Und die Reihe war an dir zu trinken,
Und die volle Schale hobest du,
Sprachst zu mir mit trautem Augenwinken ;
»Herz, ich trinke dir "Vergessen zu!«
Dir entriß in trotz'gem Liebesdrange
Ich die Schale, warf sie in die Flut,
Sie versank und siehe deine Wange
Färbte sich mit einem Schein von Blut.
Flehend küßt ich dich in wildem Harme,
Die den bleichen Mund mir willig bot.
Da zerrannst du lächelnd mir im Arme
Und ich wüßt' es wieder — du bist tot.
Stellen wir uns einen Augenblick die gleiche Situation in der
Welt der Dinge vor: am Ufer stehend sieht einer auf einem Strom
oder See einen Nachen mit Knaben und Mädchen, in ihrer Mitte
die Geliebte, treiben, und wünscht sich unter ihre Schar zu mischen.
Er würde wohl winken und rufen, wenn aber nicht, so jedenfalls
den Entschluß fassen, den Nachen schwimmend zu erreichen, darauf
ins Wasser springen, den Zwischenraum durchmessen und sich am
Boot in die Höhe ziehen. So oder ähnlich, nur mit anschaulicher
malenden Worten, beschriebe es sicher ein Autor, dem es nicht be-
schieden ward, vom geflügelten Boten der Götter geleitet zu sein.
C.F.Meyer aber taucht in die Tiefen des Traumbewußtseins,
und da geschieht nun etwas ganz anderes. Auf das Erblicken des
Nachens und das Vernehmen des sehnsüchtig lockenden Gesanges
folgt ohne Dazwischenkunft eines Willensaktes und der vollziehenden
Handlung — Zeichen des pathischen ErgrifFenseins vom Strom der
Erscheinungen — ein selber fast wellenhaftes Gleiten in die Welle,
und kaum, daß ein Schauder den Träumer das Element der geister-
haften Flut empfinden läßt, so hat er auch schon die ziehende Barke
erreicht, so drängt er sich schon — man weiß nicht, entstieg er der
Flut? — in die »geweihte Schar«. Man versetze sich ganz in das
vom Dichter Gebotene, und man wird zugeben, daß hier nicht ein-
mal ein Vorgang, geschweige denn eine Leistung beschrieben wird,
sondern daß wir beiwohnen dem ursachlosen Erscheinungswandel,
u» welchem für das Bild des Träumers am Ufer nacheinander die
Bilder des Träumers in der Flut und des Träumers unter der Schar
im Boot aufleuchten. Hypostasieren wir auf Grund der Identität