400 Ludwig Klages
den niederlegen. Wer die gegenteilige Behauptung vertritt, der hat
auch schon behauptet, daß z. B. das TonstUck aus den Noten der
Partitur bestehe oder die gesamte >Außenwelt« aus dem System
der Differentialgleichungen, dessen wir uns bedienen, um den Wechsel
der Tatsachen mit Bezug auf die Zeit zu errechnen.
Höheren Gewinn indes als die Auflösung der Verstiegenheiten
des Subjektivismus bringt uns die positive Einsicht, daß, gleichwie
vermöge der Natur des Geistes die gegenständlich seiende Welt so-
wohl dieselbe für jeden geistbehafteten Lebensträger als auch an und
für sich nur eine einzige ist, die Wirklichkeit nicht nur nach Maß-
gabe der Mehrheit sie erlebender Individuen in eine unbestimmte
Vielzahl, sondern auch auf Grund der kategorischen Verschiedenheit
des schauenden vom empfindenden Lebenszustande in die Wirklich-
keit der Bilder und der Körper auseinandergeht. Mit dem monu-
mentalen Satze: »Für die Wachenden gibt es nur eine einzige und
gemeinsame Welt, im Schlafe wendet sich jeder seiner besonderen
zu«, hat es der größte Denker der Griechen, Heeaklit, in der an-
deutenden Weise des archaischen Stils schon zum Ausdruck ge-
bracht, daß nur der empfindende Zustand die Vorbedingung zur Voll-
bringung der geistigen Tat enthalte, welche in der Eigenheit des er-
lebbar Wirklichen die Allgemeinheit lebensunabhängiger Existenzen
findet.
Die Sprache, recht eigentlich das »Mysterium« der denkenden
Menschheit, ist doch zugleich auch ihr größter Irreführer. Weil das
Wort »Wasser« im Dienste des Mitteilungszweckes vom Abstraktum
des Wasser dinge s redet, übersehen wir, daß es notwendig mitbe-
zeichnet, wovon der Ausdruck schon mußte vorhanden sein, bevor
er znm Zeichen eines Begriffes wurde: die nie zu begreifende, aber
erlebte Wirklichkeit der Wassererscheinung, und legen deshalb
unwillkürlich den Charakter der Gegenständlichkeit allem Erlebten
bei, sobald wir darüber zu denken beginnen, d. h. vor uns selbst
uns sprachlich darüber verständigen. Das Wasser vor dem Spiegel
hat die Wirklichkeit des körperlichen Wasserdinges, das Wasser
im Spiegel diejenige seiner unkörperlichen Kopie; aber die Wirk-
lichkeit des Wassers im Traum ist so körperloses als dingloses Bild,
auf das wir nur darum den Namen des Wassers übertragen können,
weil auch der Körper, der uns zur Findung des Dinges verhalf, mit
den niederlegen. Wer die gegenteilige Behauptung vertritt, der hat
auch schon behauptet, daß z. B. das TonstUck aus den Noten der
Partitur bestehe oder die gesamte >Außenwelt« aus dem System
der Differentialgleichungen, dessen wir uns bedienen, um den Wechsel
der Tatsachen mit Bezug auf die Zeit zu errechnen.
Höheren Gewinn indes als die Auflösung der Verstiegenheiten
des Subjektivismus bringt uns die positive Einsicht, daß, gleichwie
vermöge der Natur des Geistes die gegenständlich seiende Welt so-
wohl dieselbe für jeden geistbehafteten Lebensträger als auch an und
für sich nur eine einzige ist, die Wirklichkeit nicht nur nach Maß-
gabe der Mehrheit sie erlebender Individuen in eine unbestimmte
Vielzahl, sondern auch auf Grund der kategorischen Verschiedenheit
des schauenden vom empfindenden Lebenszustande in die Wirklich-
keit der Bilder und der Körper auseinandergeht. Mit dem monu-
mentalen Satze: »Für die Wachenden gibt es nur eine einzige und
gemeinsame Welt, im Schlafe wendet sich jeder seiner besonderen
zu«, hat es der größte Denker der Griechen, Heeaklit, in der an-
deutenden Weise des archaischen Stils schon zum Ausdruck ge-
bracht, daß nur der empfindende Zustand die Vorbedingung zur Voll-
bringung der geistigen Tat enthalte, welche in der Eigenheit des er-
lebbar Wirklichen die Allgemeinheit lebensunabhängiger Existenzen
findet.
Die Sprache, recht eigentlich das »Mysterium« der denkenden
Menschheit, ist doch zugleich auch ihr größter Irreführer. Weil das
Wort »Wasser« im Dienste des Mitteilungszweckes vom Abstraktum
des Wasser dinge s redet, übersehen wir, daß es notwendig mitbe-
zeichnet, wovon der Ausdruck schon mußte vorhanden sein, bevor
er znm Zeichen eines Begriffes wurde: die nie zu begreifende, aber
erlebte Wirklichkeit der Wassererscheinung, und legen deshalb
unwillkürlich den Charakter der Gegenständlichkeit allem Erlebten
bei, sobald wir darüber zu denken beginnen, d. h. vor uns selbst
uns sprachlich darüber verständigen. Das Wasser vor dem Spiegel
hat die Wirklichkeit des körperlichen Wasserdinges, das Wasser
im Spiegel diejenige seiner unkörperlichen Kopie; aber die Wirk-
lichkeit des Wassers im Traum ist so körperloses als dingloses Bild,
auf das wir nur darum den Namen des Wassers übertragen können,
weil auch der Körper, der uns zur Findung des Dinges verhalf, mit