Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 3.1914-1919

DOI issue:
Viertes Heft
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2777#0549
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
^Beiträge zur Psychologie and Psychopathologie des Selbstwerterlebens. 543

kung gleichsam eingeschlossen ist, wie dies in einer großen Anzahl
von Fällen vorkommt. Ich berichte hier kurz über eine Kranke1:
es handelt sich um die 25 Jahre alte £. J. Sie berichtet, daß sie
nicht gerade fromm im Hanse ihrer Angehörigen erzogen worden sei,
daß aber immerhin an religiösen Sitten and Bräuchen festgehalten
wurde. Sie habe stets eine rege Phantasie besessen, viel und leb-
haft geträumt und sich bisweilen schwer von dem Traumcharakter
ihrer Erlebnisse überzeugen lassen. Sie kam dann mit etwa 15 Jahren
von Hause fort und hatte hier in der Fremde das erstemal eine Er-
scheinung, in der ihr ihre Mutter erschien. Später wurde sie in Basel
durch Bekannte an einen Betverein empfohlen. Hier wurde viel ge-
betet und über religiöse Dinge gesprochen. Zungenreden hat sie nie
gehört, auch nie Versammlungen, in denen derartiges auftrat, beige-
wohnt. Es ist aber ihr sehnlichster Wunsch gewesen, einmal etwas
Derartiges mitzuerleben. Hingegen hat sie bisweilen Visionen gehabt.
Sie hatte in Basel eine Stelle als Kinderpflegerin angenommen. Die
Familie, in der sie war, war nett zu ihr nnd erlaubte ihr auch weiter-
hin den Besuch der Versammlungen. Trotzdem meinte sie, daß man
sie auch dort nicht richtig verstanden habe. Eines Tages trug sie das
Kind herum, wobei sie ständig betete. Dabei muß sie sehr aufgeregt
gewesen sein, hat nicht richtig aufgepaßt und ließ das Kind fallen,
das sich dadurch eine schwere Gehirnerschütterung zuzog. Das hat
sie sehr aufgeregt und besorgt gemacht, und sie habe deshalb zu
Gott gebetet, er möge sich des Kindes annehmen und es erretten.
Es wäre dann ein Engel erschienen, welcher sie groß angesehen,
kein Wort gesprochen, sondern nur stumm gewinkt habe. Gott habe
ihr damit andeuten wollen, daß er das Kind zu sich nehmen werde.
Ein andermal sah sie, als sie über ein Feld ging, Erscheinungen von
Teufeln.

Alle diese Erscheinungen nun, sowie zahlreiche andere halluzina-
torische Erlebnisse, welche die Kranke hat, wirken auf sie in dem
Sinne, daß sie dadurch immer mehr zu der Einsicht ihrer eigenen
Schlechtigkeit geführt wird. Und in diesem Erlebnis liegt begründet,
daß auch ihr Selbstwerterleben in negativer Richtung beeinflußt wird,
Sie fühlt sich unwert und vor allem vollständig unsicher in ihrem

1 Vgl. meinen Aufsatz: >Beitrag zur Religionspsychologie« in Zeitschrift

für angewandte Psychologie 1919, Bd. XV, S. 55 ff.
 
Annotationen