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dieser künstlerischen nnd kunstgewcrblichen Überlegenheit, sür deren Vorteile man in
den übrigen Landern Europas noch immer kein Verständnis besaß.

Jn Deutschlaud speziell war dem Rausche von 1848 die gründlichste Er-

nüchternng gefolgt. Die bornierteste und kurzsichtigste Reaktion entschädigte sich jetzt

mit wahrer Wonne für die Angst, die sie während des tollen Jahres ausgestanden.
Sie begann vor allem jetzt wieder jenen Krieg gegen alle Talente, gegen alle

schöpferischen Kräfte, der schon die Periode von 1830—1848 charakterisierte. So

hatte man in Dresden Semper und Richard Wagner ausgetrieben, die sich an der
dortigen Bewegung beteiligt. Der erstere hatte sich nach London geflüchtet, und
schrieb dort nnn seine köstlichen Abhandlungen über das Kunstgewerbe, nachdem er
erst den Plan zu jenem Kensington-Museum entworfen, welches bald der englischen
Kunstindustrie einen mächtigen Aufschwung gab und allen übrigen Anstalten dieser
Art zum Vorbild diente, die nun nacheinander in Wien, Berlin, Dresden rc. ent-
standen, nnd schon nach zwei Jahrzehnten die deutsche Kunstindustrie in den Stand
setzten, der französischen eine immer gefährlichere Konkurrenz zu machen.

Die Ernüchterung, welche im Gefolge jedes Rausches eintritt, war dagegen
der Verbreitung des Realismus in der Kunst um so günstiger, als man für eine
Zeitlang jetzt nicht nur den Utopien, sondern auch allen Jdealen abschwören zu
müssen glanbte. Man hatte sich verrechnet und ward dadurch allem romantischen
Jdealismus sehr feindlich gestimmt. Um so dringender fühlte man jetzt die Ver-
pflichtnng, sich endlich der Darstellungsmittel der bildenden Knnst in höherem Grade
zu bemächtigen und andererseits die Natur besser zu studieren, nachdem man sie noch
eben so gröblich verkannt.

Solche Richtung zn fördern, war nun der nene König ganz geeignet. Ein
wohlwollender Herr voll geistiger Jnteressen, aber allem Überschwünglichen, vorab der
vüterlichen Romantik abgeneigt, suchte er ganz sachgemäß vor allem die Lücken ans-
zufüllen, welche das Regierungssystem seines Vaters gelassen. Darum wendete er seine
Aufmerksamkeit zunüchst der Pflege der Wissenschaft und schönen Litteratur zu, be-
günstigte die historischen und naturwissenschaftlichen Studien, und berief zu dem Ende
nacheinander Giesebrecht, Cornelins, v. d. Pfordten und andere Historiker, wie
andererseits Liebig, Bischoff, v. Siebold, M. Wagner, Pfeufer und eine Menge
sonstiger Gelehrter an die Universität. Die Akademie der Künste aber, deren
Direktion nach Gürtners Tode auf Kaulbach übergegangen, erhielt den Ästhetiker
M. Carrisre als Sekretär und Kunstgeschichts-Dozenten. Sich selbst umgab der
König mit Geibel, Paul Heyse, Bodenstedt, Kobell, Lingg u. a., die ihm eine Art
Musenhof bilden sollten, wie Dingelstedt bald zur Leitung des Theaters berufen
ward, und die Münchener Zeitnng ein unter Jul. Grosses Leitung stehendes Litteratur-
blatt als Beilage erhielt. Ein großes Glück war es, daß die mäßige und ver-
ständige Art des Königs jede allzu stupide Reaktion ausschloß, wie sie in den be-
nachbarten Staaten nm sich griff, während er sich auf einen allerdings sehr
ausgesprochenen Partiknlarismns beschränkte. Dafiir rüumte seine der Herr-
schaft des Pfaffentums abgeueigte Sinnesart auch mit den Abelschen Traditionen
kurzweg auf.

So machte sich in München nunmehr ein erhöhtes geistiges Leben erfreulich
fühlbar, das bald der Kunst zu gute kam. Denn auch Maximilian II. besaß in hohem
Grade die traditionelle Knnstliebe seines Hauses. Hatte er doch schon als Kronprinz

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