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Schlutz

It^elcher Deutsche vermöchte ohne gerechten Stolz anf ein Jahrhundert zurückzm
blicken, welches wie das unsere mit der tiefsten Erniedrigung der Nation be-
ginnend, nach unablässiger Arbeih dem tapfersten Ringen, grenzenlosen Opfern, mit
ihrem höchsten Glanze, mit der endlich erreichten Einheit, Freiheit und Größe schließt!
Ein Jahrhnndert, das aber zngleich in den Wissenschasten, üer Technik aller Art solche
ungeheuere Fortschritte macht, daß durch sie alle sozialen und wirtschaftlichen Ver-
hältnisse von Grnnd aus umgestaltet werden. Konnte nun diese grenzenlose Thätig-
keit ohne Folgen für die Knnst bleiben?

Am Ende der vorliegenden, wenn anch nur das Aufblühen des Münchener
Knnstlebens in demselben Zeitraume umfassenden Arbeit angelangt, ziemt es sich da-
her umsomehr, hier ihre Ergebnisse noch einmal kurz zusammenzufassen, als sich ge-
rade aus dieser Periode unserer Kultnrentwickelung so vieles lernen läßt, was den
nachfolgenden Geschlechtern gegenüber nicht scharf genng betont werden kann.

Vorab, daß es kein bloßer Zufall, sondern eine tiefe innere Notwendigkeit
war, wenn dasselbe Jahrhnndert, das endlich die Anfgabe unserer Gestaltnng zn
einer wirklichen Nation löst, gleichzeitig auch statt der charakterlosen Knnst ohne alle
Eigenart, die es vorsand, eine solche erzeugt, die den Kampf gegen dic Fremdherr-
schaft auf allen Gebieten, welcher dieser Zeit die Signatur gibt, anch in ihren Kreis
aufnimmt, ihn, dnrchans bestimmt von der jeweiligen pvlitischen Eutwicklnng, also
mit wechselndem Glück fortführt, nm ihu ganz gleichzeitig mit dieser und kaum weniger
erfolgreich zn Ende zn bringen.

Sah der Beginn unseres Zeitraumes die Kunst ohne eine Ahnuug ihres
hohen Berufes, jedes nationalen Znges entbehrend, arm, änßerlich verachtet und
innerlich verkommen, sich bedientenhaft im Troß der Höfe schleppend, bald die Ankike,
bald die glücklichere sranzösische Schwester nachahmend, aber immer nur die Herrscher
tauschend und den eigenen Volkscharakter verlengnend, so ist allmählich auch sie nicht
weniger als unsere nationale Dichtung der getreue Ausdrnck unserer tiefsten Eigen-
tümlichkeit geworden. Sie hat es dabei gleichzeitig wie diese zn einer Reihe unver-
gänglicher Schöpfungen gebracht, sich Achtung, Beifall und Verständnis in der ganzen
Welt erobert, ist jeder anderen ebenbürtig geworden. Während man zu Ende des
vorigen Jahrhnnderts fast an ihrem Dasein zweifeln dnrfte, ist sie bei Ablauf des
jetzigen der Liebling, die allzeit bereite Begleiterin, Frenndin nnd Trösterin ihres
Volkes geworden. Sie hat aber anch — und das ist ihr größtes Verdienst — Er-
hebnng und Freude nicht nur in die Palüste, sondern in jede Hütte getragen, ja
nach und nach eine Volkstümlichkeit erlangt, von der man in unserer ganzen früheren
Geschichte kein Beispiel findet.

Nirgends aber hat sich diese mehr oder weniger in allen dentschen Schulen
vor sich gehende Entwickelung so rein vollzogen, nirgends hat sich der spezifisch deutsche
Charakter des Schaffens allen Hindernifsen zum Trotz so ganz von innen heraus

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