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Petersen, Eugen
Kritische Bemerkungen zur ältesten Geschichte der griechischen Kunst — Ploen: Druck von S. W. Hirt, 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.49918#0034
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offenbar nicht gethan. Dass nun dem Daidalos mehr Bilder zugeschrieben sind als He-
phaistos oder andern mythischen Wesen, rührt daher, dass er von der Sage namentlich
in Attika viel realistischer, menschlicher gestaltet war. In dem alten Sagenbestand
selbst aber ist nicht mehr Thatsächliches für die Kunstgeschichte enthalten, als in den
Sagen von Zeus, Hephaistos, Prometheus, die also so gut wie die ‘ Kunstdaimonen ’ ein
Kapitel als ‘Kunstgölter ’ füllen könnten.
Hieratischer Zwang.
Ist die Sage von Daidalos nicht von Ursprung her aus Thatsachen bildschnitzen-
der Kunstübung hervorgegangen, sondern aus ganz andrem Grunde; und haben solche
Thalsachen, soviel wir sehen, erst nach Homeros auf die Gestaltung jener Sagen einge-
wirkt; fällt ausserdem der ganze Satz vom Daidalos’ Fortschritt gegen frühere Leistungen
weg, so bleibt der späte Beginn eigentlicher Bildhauerkunst nicht mehr unerklärlich, oder
man könnte ebenso gut unerklärlich finden, dass das Drama oder jede andere Blüthe
nicht früher sich entwickelt hätte. Der von Thiersch heraufbeschworene Priesterbann
wäre also überflüssig, wenn er nur nicht bewiesen wäre. Sehen wir, ob er es ist. Die
Hauptbeweise dafür, dass der Cultus und seine Vertreter für freie Entfaltung der Kunst
ein Hemmniss gewesen, welche seit Thiersch einem immer wieder begegnen, sind ein
paar vereinzelte Nachrichten.
1. Am meisten in Form einer allgemeinen Satzung fand man jene vermeintliche
Thatsache in den Worten der Haruspices beim dritten Aufbau des Capilolischen Tempels
nolle deos mutari veterem formam, Tacit. H. 4, 53. Aber erstens fiel dies in Rom vor,
nicht in Hellas; zweitens betrifft der Ausspruch nicht Bilder, sondern einen Tempel, und
zwar bezieht er sich offenbar nur auf den vorliegenden Fall; endlich wurde die Vorschrift
ja auch nicht einmal in diesem Falle befolgt, denn altitudo aedibus adjecta: id solum reli-
gio adnuere et prioris templi magnificentiae defuisse credebatur. —
2. Pausanias 3, 16 erzählt von einem Heiligthum der Leukippiden Hilaeira und
Phoibe in Sparta. ‘Das eine der beiden Bilder’, sagt er, ‘hat eine Leukippide, welche
Priesterin der Göttinnen war, verschönert, indem sie ihm statt des alten einen Kopf in
neuerem Stil gab, das andre aber so zu verschönern, wehrte ihr ein Traum’. Seien wir
zunächst gutmüthig genug, dies wörtlich zu glauben: auch so, dächte ich, besagte die
Geschichte das Gegentheil von dem, was sie sagen soll. Hier wäre es ja grade die Prie-
sterin, welche dem alten Bilde einen schönen neuen Kopf aufsetzte. Das sah Beul6
S. 12 richtig, der nun nur wieder nach der andern Seite hin erfindet: des prdtres venait
l’initiative, des Magistrats l’obstacle S. 13. Laufen wir aber nicht am Ende gar Gefahr,
glauben zu müssen, dass die Priesterin dem heiligen Bilde den alten Kopf abgeschnit-
ten, und sogar auch dem zweiten habe an den Kragen gehn wollen. Ehe wir so schänd-
liche Gottlosigkeit ihr zutrauen, gegen welche die Aufstellung eines neuen Cultbildes
anstatt eines altmodischen, ja pure Frömmigkeit gewesen wäre, versuchen wir’s doch an
der bedenklichen Traumgeschichte zu zweifeln. Wie, wenn dem einen Bilde der Kopf
 
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