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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0056
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[Kapitel 2] Photographie als Philosophie: Strindbergs Utilistenphase


9 August Strindberg/Carl Larsson
Schlafwandlernächte
1884

chen Verhältnissen geriet. Beide arbeiteten auf Kymmendö zusammen, ge-
nauer: Larsson war Strindbergs ausführende Zeichenhand.
Das gilt auch für die Schlafwandlernächte. In diesem Gedichtzyklus
rechnet Strindberg ab: mit der Kirche (»Lebewohl nun, Kirche; hier fand ich
nicht eine einzige Lösung für das Rätsel des Lebens«), der Kunst (»Hier ver-
ehrt man nur den schönen Schein, und hält die Kopie für das Original«), der
Bücher-Bildung (»Dunkler wird es, je länger man geht, und die Bücher heilen
nicht uns're Wunden«) und der Naturwissenschaft (»Nein, Wissenschaft, um
so wenig zu helfen, ist dein Hochmut viel zu groß«).16 All dies findet sich auf
der Umschlagillustration symbolisiert wieder. Carl Larsson zeichnete sie nach
Strindbergs genauer Vorzeichnung >druckreif<; die Bildidee muß aber
Strindberg zugeschrieben werden.17 Auf einer Wiese vor einer Hausfassade
liegen ein Kruzifix, eine antike Statue, die wohl eine Venus sein soll, Bücher
und Kerzenleuchter. Ein Totenschädel unterstreicht den Vanitas-Charakter
des Ensembles. Darüber senkt sich ein großes Gemälde (?) herab, das einen
lassoschwingenden Indianer darstellt. Der Sinngehalt ist eine klare Umset-
zung des Gedichtes:18 Kirche, Kunst und Bildung sind vergänglicher Schein
und sind >am Boden zerstört«; der Indianer als Typus des unverbildeten
»edlen Wilden« rettet die kaputtzivilisierte Menschheit, indem er sie zur ewi-
gen und wahren Natur zurückführt. Hier stellt sich die Zeichnung als nach-
geordnetes Medium der Textillustration dar.

Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen, und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen.
— Friedrich Schiller an Goethe
2. Zwischen Kunst und Wahrheit -
ein existentielles Problem
Die gesamte Breitseite des strindbergschen Utilismus bekam indessen die
Malkunst ab, insbesondere der französische Impressionismus. Was Asendorf
als »Naturalismus ohne Objekt« beschreibt,19 nämlich, daß Gemälde (vorgeb-
lich) wegen ihres Netzhaut-Eindrucks hergestellt werden, wobei die soziale
und politische Dimension verloren geht, steht den Vorstellungen des Utilisten
Strindberg diametral entgegen: In seinen Schlafwandlernächten nennt er die
Kunst »eine Notfallmaßnahme, ein Surrogat für die vom Menschen zerstörte

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