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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0057

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2. Zwischen Kunst und Wahrheit - ein existentielles Problem

Natur.«20 Nach dem Besuch der großen Pariser Gedächtnisausstellung im
Januar 1884 zieht er über Manet her und »kritisiert«, daß
eine solche Abnormität wie Edouard Manet, der untrüglich einen Fehler an den Augen
oder einem noch wichtigeren Organ hatte, in unseren jüngsten Tagen zum Meister und
Schulenbegründer emporgehoben wurde. [...] Edouard Manet hat zum Beispiel eine Me-
lone gemalt, nur eine Melone, die aber überhaupt nicht einer Melone gleicht. Es ist ein
runder Gegenstand, der Licht reflektiert, aber nicht an einer bekannten Art der Melo-
nenpflanze gewachsen zu sein scheint. Er hat vermutlich genau das darstellen wollen,
was Plato den Begriff der Melone nennt und hat deshalb keine Melone gemalt. Er hat
sich Farben bedient, die es in der Natur nicht gibt, und darum ist er in meinen Augen ein
schlechter Maler (außer auf einigen Stücken, wo er seine Theorie verlassen hat), was
er auch in denen der französischen Allgemeinheit war, bis er starb und groß wurde und
man die Lokale der Ecole des Beaux Arts dazu bekam, seine Arbeiten auszustellen.21
Er stand mit solcherlei Einstellungen im Schweden der achtziger Jahre,
das nach Exaktheit verlangte, nicht alleine da. Dieses Bestreben in Verbin-
dung mit einer gewissen sozialpolitischen Komponente kann als naturalistisch
bezeichnet werden. Der Anspruch an Exaktheit, der einen Touch wissen-
schaftlicher Nachweisbarkeit mit sich bringt, äußert sich auch in Strindbergs
literarischer Bildsprache. Die Metapher wird zugespitzt, das Gefühl
präzisiert.22 Ein Beispiel für die neu-exaktere Prägung einer ehemals romanti-
schen Metapher ist, was Strindberg aus »blutrot« macht: Englands Flagge ist
rot wie Ochsenblut, gebeiztes Holz gleicht geronnenem Blut, Blumen sind
schwarzrot wie venöses Blut.23 Doch geht man diesen Gedankengang konse-
quent bis zum Ende, reicht es nicht aus, Kunst mit exakten Begriffen anzurei-
chern. Der Anspruch nach Exaktheit steht Kunst als solcher entgegen - sonst
wäre sie nicht Kunst, sondern Wissenschaft.24 Über den Zweck der letzteren -
die Wahrheitsfindung - kommt wieder die Moral in das Spiel, das »Strind-
bergs Psyche« heißt.
Strindberg hatte erkannt, daß eine Bildsprache mit Schönliteratur selbst
untrennbar verknüpft war, also nicht die Wahl stand zwischen Literatur ohne
und mit Metaphern, sondern zwischen Kunst und Wahrheit.25 Er hatte sich
lautstark für die Wahrheit entschieden, doch der Ästhet in ihm kann sich dem
Utilisten auf Dauer nicht unterordnen und möchte sich »nicht mehr mit Poli-
tik peinigen.«26 Sein Charakter läßt sich als zwei Stränge begreifen: den poli-
tisch bewußten und cleveren Positivisten und Naturalisten, dem es um eine
getreue und objektive Abbildung der Natur ging, und der in seiner Dichtung


10 Edouard Manet
Stilleben mit Melone und Pfirsichen
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