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Umstandes, daß in Ulm 25,000—30,000 Gefangene
von ungefähr 1000 bayerischen Soldaten von 200 Land-
wehrleuten bewacht wurden, eine Massenflucht wagen könne
Der Sergeant Humblot aus Ulm meldete seinem Freunde
in Dingllingen, daß viele von seinen Schicksalsgefährten
sich auf ihren Spaziergängen in der Stadt Revolver und
andere Waffen gekauft Härten und daß mehrere von ihnen
auf den Gedanken gekommen seien, daß es ein Leichtes sein
würde, sich der Festung zu bemächtigen. Diese Idee fand
bei dem Gefangenen in Dillingen Anklang, er sprach mit
einigen Vertrauten und schließlich kamen sie überein, alle
in Dinglingen internirten Unteroffiziere ins Vertrauen zu
ziehen. Humblot wurde von diesen Entschlüssen in Kenntniß
gesetzt. Sobald sie sich zu Herren der Festung gemacht,
sollten in Ulm genügend Leute zurückbleiben, um die Stadt
im Schach zu halten und die übrigen Franzosen sobald wie
möglich nach Augsburg ziehen, um dessen Umgegend 40,000
französische Kriegsgefangene in einem Barackenlager unter-
gebracht waren. Auf diese Weise hofften die Franzosen
innerhalb 24 Stunden 60,000 Mann zu vereinigen und
binnen vier Tagen eine Stärke von 100,000 Mann zu er-
reichen. Am 16. Dez. um 1 Uhr morgens sollten die Ge-
fangenen von Dillingen unter den Mauern von Ulm ein-
treffen. Ju Dillingen machte man sich eifrig an die Arbeit.
Bereits am 8. Dez. hatten die Gefangenen Duplikate zu den
Schlüssln der Waffenmagazine und zu den von ihnen be-
wohnten Ställen des ersten bayerischen Ulanenregiments in
ihrem Besitz. Es war verabredet worden, daß sechs von
den Entschlossensten für die Zerstörung der Drahtleitung
sorgen sollten sich gleichzeitig auf die Schildwachen werfen
und sie erwürgen, was um so leichter ausführbar erschien,
als die deutschen Soldaten diesen Leuten sehr wenig Be-
achtung schenkten und der Rest der Gefangenen sollte sich
auf die bewachenden Mannschaften werfen und alle nieder-
machen, die versuchen sollten, Widerstand zu leisten. Am
15. Dez. um 9 Uhr abends sollte der Plan ausgeführt u.
darauf sofort der Marsch nach Ulm angetreten werden.
Alles war auf das sorgfältigste vorbereitet und die Bayern
schienen nichts von dem Bevorstehenden zu ahnen. Da er-
schienen um 8 Uhr abends mehrere deutsche Offiziere nut
15 Soldaten in den von den Gefangenen bewohnten Räum-
lichkeiten, bemächtigten sich der Unteroffiziere, denen die ein-
zelnen Gefangenenkompagnien unterstellt waren u. schafften
sie in das Arrestlokal. Dort wurde hnen der rechte Daumen
an den rechten Fußknöchel gebunden, worauf ihnen ein
Offizier in gutem Französisch mittheilte, daß ihr Anschlag
verrathen worden sei, w-e es sich später herausstellte, von
einem Korporal der Garde-Voltigeure, der an demselben
Tag aus der Kaserne verschwunden war und nie wieder
von seinen Kameraden gesehen worden ist. An 36 Stunden
ließ sich bei den gebundenen Unteroffizieren kein Mensch
sehen. Dann erhielten sie Wasser und Brod und darauf
gab es wieder nichts zu essen bis zum vierten Tage. Die
Leute waren vollkommen darauf gefaßt, daß man sie er-
schießen würde und waren nicht wenig erstaunt, als man
sie am fünften Tage ihrer Gefangenschaft losband u. ihnen
gestattete, sich wieder zu ihren Genossen zu begeben. Sie
wurden vor den französischen Platzkommaudanten Cymonde
Canneville geführt, der ihnen den Text las und ihnen er-
klärte, daß es ihm große Mühe gekostet habe, für sie Straf-
losigkeit auszuwirken, da die deutschen Militärbehörden die
Absicht gehabt hätten, sie füsilireu zu lassen. Später er-
fuhren die Gefangenen in Dillingen, daß ihre Ulmer Schick-
salsgefährten gleichfalls verrathen worden waren und zwar
von einem Unteroffizier der Garde-Grenadiere. In Folge
dessen war die Besatzung der Ulmer Citadele durch Truppen

aus Stuttgart und München verstärkt worden. Die Ulmer
Rädelsführer haben 14 Tage Dunkelarrest und während
dieser Zeit nur jeden zweiten Tag etwas zu essen be-
kommen.

Hemeinnütziges.
Geplatzte Kartoffel werden bekanntlich besonders gern
auf den Tisch gebracht, indessen bleiben die Wünsche nach
dieser Richtung hin häufig unerfüllt. Die Zeitschrift „Der
Obstmarkt" bringt nun folgende Anweisung zum Kartoffel-
sieden. Sollen Kartoffeln ihren feinsten Geschmack erreichen
so wasche man sie erst unmittelbar vor dem Kochen, setze
sie mit kaltem, leicht gesalzenem Wasser an, lasse darin halb
fertig kochen, ersetze dann dieses Wasser durch siedendes u.
ebenfalls gesalzenes, und lasse dieses hoch aufkocheu. Sobald
die Kartoffeln weich sind, schrecke man den Süd mit einem
Löffel kalten Wassers ab,- fo behandelt, platzt jede Kartoffel
behält aber trotzdem ihren höchsten Wohlgeschmack.
— Mittel gegen Flecken. Von Kaffee: Glycerin und
Nachwaschen mit lauwarmen Wasser. — Alizarintinte: Ver-
dünnte Weinsteinsäure; je älter der Fleck, desto stärker die
Lösung, vorher prüfen, ob die Farbe des Stoffes es ge-
stattet; bei Seide Aether oder Benzin. — Gallustinte und
Rost; Einige Tropfen von einer Talgkerze auf den Fleck,
dann Auswaschen mit einer Lösung von pyrophosphorsaurem
Natron in heißem Wasser; bei Seide keine Hülfe. — Stock-
flecken: Bei Wollen und Baumwollenzuug Seifenwasser
mit etwas Pottaschezusatz, bei Leinen verdünntes Chlorwaffer,
dann Nachspülen. — Stearin: Abreiben mit starken Wein-
geist. — Oelfarben, Firniß, Harz: Gereinigtes Terpentin-
öl, Benzin, neunziggradiger Spiritus; dann Seife. —
Theer und so weiter: Benzin dann mit verdünnter Salzsäure
und später mit Seifenwasser nachwaschen. Obst Rothwein,
rothe Tinte, Pflanzenfarben Gerbstoffe von Leder, grünen
Nußschalen, Thee, Kaffee usw.: Bei Leinen Schwefeldampf,
heißes Chlorwasser, Rindertalg mit grüner Seife, Bleichlauge,
starke Lösung von Weinsteinsäure; bei Baumwolle, Wolle
und Seide laues Seifenwasser oder verdünnter Salmiakgeist
— Flecken von Gerbstoffen ausgenommen — gegen letztere
je nach Zartheit des Stoffes und Farbe mehr oder weniger
verdünntes heißes Chlorwasser tropfenweise auf den abge-
näßten Fleck, dann mit Wasser nachspülen. — Fettflecken
aus Papier, auch veraltet: Benzol-Magnesia aufschütten,
mit dem Finger aufreiben, dann abklopfen; aus Zeug ;
Benzin.

Humoristisches.
Um Mißverständnisse zu vermeiden.
Richter: Sie heißen?
Angeklagter: Schiller.
Richter: Schiller .... dieser Name kommt mir bekannt
vor.
Angeklagter: Nee, der Schiller bin ich nich, Herr Gerichts
Hof!
* *
Drohung.
Fräulein Amalie (zu einem Herrn, der ihr fortwährend
schmeichelt): Sie werden mir so lange keine Ruhe lassen, bis
Mama plötzlich „ja" sagt.
Verantwortlicher Redakteur: I- Jeck er in Heidelberg
Druck von Gebr. H uber in Heidelberg.

MchmbMgk Za

II

WÄM Rlltm.

Sonntag, den 4 Febrnar

1894.

Nr 5

Ein schlechter Christ wer wankt
Dem Schilfe gleich, das schwankt
Im Sumpf am stillen See;
Wer gleich der Blum' sich leicht
Auf schwankem Stengel neigt,
Wann leises Lüftchen streicht
Durch grünen Wiesenklee.
Steh', wie der starke Thurm,
Der stolz im schwersten Sturm
Den Helm hebt himmelan!
Steh' gleich der Eiche fest:
Wohl schüttelt sie die Aest',
Doch nimmer rütteln läßt,
Der Stamm sich vom Orkan.
Steh' fest im Christenthum,
Such' Deinen Erdenruhm
In fromm erfüllter Pflicht!
Den starken Glaubensheld,
Der nicht in Zweifel fällt
Und Gott im Herzen hält,
Besiegt der Satan nicht.

Steh' fefl.
Steh' fest im Gottvertrau'n I
> Die betend auf ihn bau'n,
Erdrückt kein Mißgeschick;
Er gibt Dein täglich Brod,
! Er hilft aus jeder Noth
Und schenkt Dir nach dem Tod
Das ewige Himmelsglück.
ft Steh' fest in der hl. Lieb'!
Denn unerwidert blieb
Nie heil'ger Liebe Glüh'n!
Schickt Gott auch Leid und Schmerz,
Dich liebet stets sein Herz:
Und er will himmelwärts
- An's Vaterherz Dich zieh'n.
Steh' fest, mein lieber Christ;
Denn wer beharrlich ist,
Erringt des Siegers Kron';
Steh' fest zu jeder Zeit,
Zum Guten stets bereit,
Steh' fest im letzten Streit:
Und groß ist sich'rer Lohn.

Gin Sonderling.
In der Stadt B . . ., wo ich als Seelsorger ange-
stellt war, hatte ich zwei Nachbarn, die mir viele Gelegen-
heit zum Nachdenken gaben. Der Nachbar rechts, ein
Mann in ziemlich vorgerücktem Alter und ledigen Standes
war ein kurioser Mann. Er ging mit keinem Menschen
um, grüßte Niemanden, dankte auch keinem Menschen, der
ihn grüßte. Man hielt ihn — wer wollte es bei diesen
Anlässen auch tadeln? — für einen Menschenfeind. Der
Mann war sehr, sehr reich und hatte keine nahen Ver-
wandten, nicht einmal lachende Erben. Er lebte äußerst
regelmäßig, ging zur bestimmten Viertelstunde zu Tisch und
zu Bett, stand ebenso taktmäßig auf, machte zur selben
Stunde täglich seinen Spaziergang und kehrte immer zur
gleichen Zeit nach Hause zurück. Ein alter, buckeliger Be-
dienter, ein ebensolcher Brummbär wie der Herr, war seine
einzige Gesellschaft.
Zur linken Seite in meiner Nachbarschaft wohnte ein
Schuster, ein armer Mann, der wenig Arbeit und acht
Kinderchen zu ernähren hatte in theurer Zeit. Bei all'
seiner Noth machte er ein heiteres und fröhliches Gesicht,
ein ganz anderes als der Nachbar rechts, der bei all'feinem
Reichthum so sauertöpfisch dreinschaute, als litte er die

bitterste Noth. Der Schuster sang und pfiff den ganzen
Tag, gewiß oft bei leerem Magen. Unter den 8 Kindern
des Meisters Knicriem war ein Knabe von acht Jahren,
ein bildschönes Kind mit blauen Augen, rothen Wangen,
krausen, blonden Haaren, munter wie ein Eichhörnchen u.
freundlich wie ein heiterer Frühlingsmorgen gegen Jedermann.
Dieser Knabe grüßte alle Leute, die an ihm vorübergingen,
wenn ihm auch keiner dankte, zog artig sein Käpplein ab
und sah mit seinen schönen Augen jeden freundlich an. So
machte er's auch dem griesgrämlichen Nachbar. Wohl
hundertmal habe ich zu meinem nicht geringen Aerger ge-
sehen, wie der kleine Peter den finsteren Mann gar höflich
grüßte und wie dieser ganz ernsthaft vorüberschritt, ohne
das Kind auch nur anzusehen. Peter ließ sich dadurch in
seiner freundlichen Begrüßungsmanier nicht irre machen;
er stand immer, sein Köpfchen entblößend, gar höflich auf,
wenn er an der Hausthür saß u. der Herr Nachbar vorüberging,
mochte dieser den Gruß auch niemals erwidern. Peter
ermüdete nicht in der Höflichkeit und der Nachbar nicht in
der Grobheit.
Ich hatte den Jungen lieb, nicht blos wegen feiner
freundlichen, einnehmenden Wesens, sondern auch weil er in
der Schule sehr gut lernte und dabei sich so sittsam betrug
wie kein Anderer. Er war der beste Schüler. „Wie ist eS
 
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