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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 1.1884

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Nr.1 (1. Januar 1884)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29786#0018
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Wüthend faltete er das Papier zusammen und steckte es zu sich.
„Dergleichen ans meinem Bureau! Das ist unverzeihlich!" Mit
hastigen Schritten durchmaß der alte Sekretär die Stube, räusperte sich
mehrere Male und drehte das Schnupftuch derart zusammen, daß es
zuletzt nicht größer als eine Wallnnß mar.
Nach einer Weile erschien der Exekutor Ströpper in der Kanzlei.
Der würdige Vollstrecker so manchen Urteilsspruches beschwerte sich
bitter bei dem Sekretär über das Auftreten des Copisteu Jnnker, der
sich „wichtig mache" und „gerade thne als ob er der Chef sei."
„Also auch das noch," murmelte der Sektretär zornig vor sich
hin; dann beruhigte er den Exekutor, versprach, dem jungen Menschen
den Kopf zurecht zu setzen, und befriedigt verließ der Arm der Ge-
rechtigkeit die Kanzlei.
Bald daraus trat Emil ein: schweigend wollte er sich an seinem
Tische niederlassen.
„Ah, da ist ja der Patron," sagte Zöpsle spöttisch, und fuhr dann
fort: „Na, Sie machen schöne Geschichten!"
„Wie so'? Herr Sekretär?" srng Emil schüchtern.
Der alte Aktenwnrm stellte sich dicht vor den jungen Brann hin
und sagte in malitiösem Tone: „Also während meiner Abwesenheit
verstehen Sie es besser, Verse ans mein Papier zu schmieren, statt Ihre
Arbeit zu verrichten!"
„Himmel!" dachte Emil, „er hat das Gedicht gesehen! Glauben
Sie mir, Herr Sekretär —"
Aber der in Hitze geratene Aktenwurm unterbrach seinen Schreiber
mit den Worten: „Verse ans mein schönes, teueres Papier! Mensch,
haben Sie den Verstand verloren? — Und welche Frechheit haben Sic
sich erlaubt? Sic wollen hier den Ches spielen, wie mir der Herr
Exekutor Strüpper soeben gesagt!"
„Hören Sie mich gütigst an, Herr Sekretär," bat Emil.
„Ich will nichts wissen," fuhr Zöpsle den jungen Mann an. „Ich
habe zu viele Beweise Ihrer Unzuverlässigkeit. Ich kann Sie nicht
langer behalten."
Er schloß bei diesen Worten sein Pult aus und zählte dem jungen
Alaune einige Thaler auf den Tisch.
„Hier," sagte er, „haben Sie Ihren bis heute fälligen Gehalt.
Sie sind mein Gehilfe nicht mehr!"
„Entlassen?" fragte Emil fast tonlos. Leichenblasse überzog sein
Antlitz; er dachte an seine alte Mutter, deren einzige Stütze er Ivar.
„Herr Sekretär," sagte der junge Mann in bittendem Tone, „ich habe" —
Aber in barschem Tone unterbrach Zöpsle den Exeopisten mit den
Worten: „Gehen Sie, und machen Sie jetzt ungestört so viele Verse
und Reimchen, als Ihnen beliebt. Wenn Sie weit damit kommen,
soll's mich freuen. Blasen Sie aber Trübsal ans Noten, so denken
Sie an die vielen vergeblichen Warnungen, die ich Ihnen ertheilt, und
löffeln Sie dann nur die Suppe aus, die Sie sich selber eingebrockt
haben."
Hieraus ließ Zöpsle den jungen Mann stehen und schritt nach dem
Archiv. —
Gebeugten Hauptes verließ der tiesgekränkte junge Mann die
Kanzlei.
II.
In demjenigen Teile des Städtchens, welcher fast ausschließlich
von Handwerkern bewohnt war, stand in einer engen, winkeligen Straße
das Haus des Tischlermeisters Schmaling, der als ein geschickter und
fleissiger Mann bekannt war. Valentin Schmaling arbeitete mit drei
Gesellen, sein Hänschen war schuldenfrei und man sagte, er habe eine
sehr schöne Kundschaft. Der Meister war Wittwer. Vor 5 Jahren
hatte ihm der Tod sein braves Weib genommen. Ein einziges Kind,
ein blühendes, dunkeläugiges Mädchen, Mathilde, hatte ihm die Heim-
gegangene Gattin hinterlassen. An seinem Töchterchen hing der Meister
mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit und Liebe. Mathilde Ivar allerdings
ein ganz ungewöhnliches Kind, das sehr früh die herrlichsten Eigen-
schaften des Geistes und des Herzens offenbarte. Aus den Rat seines
Schwagers Kroegler, eines tüchtigen, aber leider dem Trnnke ergebenen
Musikers, der in Mathilden ein „bedeutendes musikalisches Talent"
entdeckt haben wollte, schickte Schmaling sein Kind ans das Conserva-
torinm in C. Während das junge Mädchen hier mit Lust und Eifer
den Studien oblag nnd in der Tat sowohl als Pianistin wie als

Sängerin nach kurzer Zeit Bedeutendes leistete, traten im elterlichen
Hause trübe Ereiguisse ciu. Schmaling hatte ungeheure .Holzvorräte
erworben in der zuversichtlichen Erwartung, daß ihm seitens einer
Verwaltungsbehörde die Lieferungen für einen großartigen Neubau
übertragen werden würden. Aber der ehrliche Schmaling, der gewisse
Schleichwege nnd das sogenannte „Schmieren" verabscheute, erhielt die
Lieferungen nicht, sondern ein Bernssgenosse aus einer Nachbarstadt,
der 15 Prozent abgeboten hatte. Ilm das liebel zu vergrößern, erwies
sich später das erworbene nnd noch nicht bezahlte Holz als gänzlich
unbrauchbar. Alle Reklamationen Schmalings bei seinen Bezugsquellen
wurden abgewiesen, da sie nicht rechtzeitig erhoben worden waren. Zn
diesen Schlägen kam fast zu gleicher Zeit ein anderer. Schmaling hatte
sich wiederholt für seinen Schwager Kroegler, der sehr verschuldet war,
verbürgt. Da die Gläubiger auf ihu eiustürmten, sah sich der Meister
gezwungen, sein Häuschen mit einer Hypothek zu belasten. Aber die
empfangene Summe reichte nicht zur Lösung der zahlreichen Verbindlich-
keiten. Das Geschäft ging zurück, die Gesellen, für die Schmaling den
Lohn nicht mehr anfbrachte, wurden entlassen, nnd blaß, gebeugt und
sorgenschwer mühte sich der Beeister allein in der Werkstatt ab.
In dem Hinterban des Schmaling'schen Hauses befaud sich in
einem engen, ärmlichen aber säubern Raum die Wohnung der Wittive
Junker. Nach dem Tode ihres Gatten, der Grenzbeamter war nnd
vor 8 Jahren in Ausübung seines schweren Berufes den Tod gesunden
hatte, mierhete sich Fran Junker, von einer kleinen Pension nnd kunst-
voller Stick- nnd Näharbeit lebend, mit ihrem Sohne in dem bescheidenen
Stübchen beim Tischler Schmaling ein. Emil besuchte um diese Zeit
das Gymnasium in der nahen Kreisstadt, das er mit schönem Erfolge
bereits bis zur Unterprima durchlaufen hatte. Aber eine lange nnd
schwere Krankheit der Mutter schmälerten die geringen Mittel derart,
daß Emil gezwungen wurde, seine Studien abzubrechen nnd sich nach
einem Broderwerb nmznsehen. Durch Vermittelung des Meisters
Schmaling, welcher der armen Wittive und ihrem Sohne gar ost ein
treuer Berater und Helfer Ivar, erhielt Emil die Copislenstelle bei dem
Gerichtssekretär Zöpsle. Mit schwerem Herzen trennte sich Emil, der
ein liebevoller Sohu war, von seinen Büchern, von jener schönen Welt,
welche das Studium der griechischen und römischen Classiker in die
Brust eines schwärmerischen Jünglings zaubert. Shue Klage fügte er
sich ins drückende Schreiberjoch. Wohl sah die Mutter, Ivie schwer ihr
Sohn litt, wohl erkannte sie die Größe des Opfers, welches Emil ihr
gebracht, nnd oftmals rollten der alten Frau in einsamen Stunden
die Thränen über die abgehärmten Wangen; aber konnte sie die Lage
ändern? Wie sollte geholfen werden, wenn Emils kleiner Verdienst
plötzlich ansblieb? Trat alsdann nicht die bitterste Not, der größte
Mangel ein?
Die wenigen frohen Momente in dem traurigen Einerlei, in der
düstern Prosanacht, welche Emil umgab, waren die Augenblicke, in
denen der hochbegabte junge Mann seinen dichterischen Träumen nach-
hängen konnte. Nach dem Mittagstisch und Abends blieben ihn: immer
noch ein Paar Viertelstunden übrig, die er dazu benützte, seine Ge-
danken nnd Empfindungen zu Papier zu bringen. Auf diese Weise
waren eine Reihe von kleinen, schwungvollen Gedichten, nnd einige Er-
zählungen entstanden. Außer einem Sonettenkranz, den Emil vor
Wochen dem Herausgeber des Lokalblattes zu seuden gewagt, nnd der
zu seiner freudigen Ueberraschnng abgedrnckt wurde, hatte der junge
Mann keine weiteren Arbeiten publiziert.
Am Nachmittag desselben Tages, an welchem Emil von dem er-
zürnten Gerichtssekretär entlassen wurde, saß an dem einzigen Fenster
ihrer Stube, das die Aussicht ans den kleinen Hos des Hauses bot,
Fran Jnnker mit dem Stopfen von Strümpfen beschäftigt. Die sinkende
Sonne siel in einem breiten Streifen in den nahen Hof nnd in den
unteren Teil ihres Fensters, und verbreitete in der kleinen Stube eine
freundliche Helle.
„Ja, ja," flüsterte die alte Fran vor sich hin, indem sie einen
neuen Wollfaden in die duldet zog, „es ist ein Glück, daß der Emil
die Paar Thaler verdient. Wo würden nur in diesem Monat, der
mir fast gar keinen Verdienst gebracht hat, das Geld für die Miete
hernehmen? — lind den braven Meister Schmaling dürfen wir jetzt
nicht warten lassen. — Ach Gott, der Mann ist schwer gedrückt! —
Und sein Kind, die Mathilde, sie scheint von alledem nichts zu wissen,
denn sie singt und spielt den ganzen Tag, ist seelenvergnügt und —"
 
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