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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 1.1884

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Nr.1 (1. Januar 1884)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29786#0017
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„O, Ivie meine ganze Umgebung mich anekelt!" seufzte er; „Ivie
ich sv gerne den ständigen Akten entfliehen möchte! — Aber meine
alte Mntter! — — O, nein, ich null es geduldig ertragen, das
drückende Schreiberjoch."
Und der juuge Mann bengte trüben Blickes das Haupt und lieh
sich wieder am Schreibtische nieder. Zur Feder griff er aber nicht,
j sondern lehnte sich in den Stuhl zurück und schante sinnend nach der
Decke des düstern Gemaches, die in plumper Stuecatur die Göttin
Themis, umgeben von andern mythologischen Gestalten, zeigte.
„Ter arme Schmaling," murmelte er vor sich hin. „Wenn ich
ihm nur helfen könnte!-Seine Mathilde ist ans dem Conserva-
torinm zurügekehrt. — Ich fah sie gestern — wie groß und schön
das Mädchen geworden ist! — Sic erkannte nnch gleich wieder und
blickte mich mit ihren wundervollen Angen so — so — wie soll ich
sagen? — so eigentümlich an; es lies mir siedend heiß über's Herz."
Mechanisch hatte der junge Mann bei den letzten Worten die
Feder ergriffen, fich über den Schreibtisch gebeugt und auf einen schönen,
weißen Bogen zu schreiben angefangen. Aber was er schrieb, sah nicht
aus wie eiu amtliches Aktenstück. Mit leuchteudeu Blicken, aus denen
eine heilige Glut, eine hohe Begeisterung sprach, hatte Emil folgende
Zeilen niedergeschrieben:
Mathildens Augen sind den Sternen gleich,
Tie freundlich funkeln in den Sommernächten,
Und doch sind sie bewohnt von Zaubermächteu,
Ter Augen Dnnkel ist ihr Zanberreich.
Da schallten plötzlich vorn Gange her Schritte nnd ein trockener
Hnsten wurde vernehmbar.
Emil schrak zusammen. „Das ist mein Ches," sagte er, und warf
rasch das angefangene Gedicht in eine Schieblade; dann zog der Ge-
hilfe des Gerichtssekretärs einen Aktenfaseikel zn sich und begann eifrig
zu copieren.
Die Thüre giug auf uud eine sonderbare Figur trat in die
Kanzlei: Diese Figur gehörte dem Herrn Gerichtssekretär Zöpfle au.
Der Chef der Kanzlei war ein schmächtiges Männchen mit geistlosem
Büreaukratengesichte, das die Fünfzig längst hinter sich hatte. Aus
seiner scharfkantigen, ziemlich langen Nase ruhte eine große, in Silber
gefaßte Brille. Ein altmodischer Frack mit blanken Knöpfen schlotterte
um den mageren Körper. Beim Abziehen eines breitrandigen Stroh-
hntes kam eine bedeutende Glatze zum Vorschein.
„'n Tag!" brummte er kurz auf den respektvollen Gruß feines
Gehilfen, und stellte seinen mit silbernem Knopf versehenen Rohrstock
in einen Winkel.
„'s doch zum Schlag tresseu," brummte er dauu weiter, während
er den Frack mit einem schäbigen Büreanrock vertauschte. „Sagt mir
eben der Rat Sander, daß die neue Gebührentaxe doch eingeführt wird.
Die verwünschten Nenernngen! Da wird die Schreiberei auch bald
verflucht weuig abwerfen."
Hierauf fich zu feinem Schreiber wendend, fragte er: „Nnn?
Was ist vorgefallen?"
„Dieser Brief vom Herrn Präsidenten wurde vor einer Weile
abgegeben," entgegnete Emil nnd übergab seinem Chef ein konver-
tiertes Papier.
Hastig öffnete Zöpfle den Brief.
„Alle Wetter," murmelte er, „das klingt fast wie ein Rüffel!
O, man kennt das! — Hole der Kuckuck diese Kleinigkeitskrämerei!"
Bei diesen Worten nahm der Sekretär ans seinem Pulte ein
dickes Aktenstück und gab es dem Schreiber mit den Worten: „Junker,
fetzen sie sich doch gleich hin und mundieren Sie diesen Bericht an den
Justizminister."
„Sehr wohl, Herr Sekretär."
„Aber ich bitte mir aus, daß Sie dabei recht aufmerksam zu
Werke gehen."
„Gewiß, Herr Sekretär."
„Und vor allen Dingen nicht zerstreut. Sie haben fich in dieser
Beziehung in der letzten Zeit Manches zu schulden kommen lassen.
Eben beklagte sich noch Anwalt Schnabel bei mir, daß in einem seiner
jüngsten Urteile der Name der Klägerin statt Barbara Reibeisen, M a-
thilde Reibeisen laute, und ich weiß ganz gewiß, daß in der Urschrift
Barbara Reibeisen steht."

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Eine brennende Röte überzog das Antlitz des jungen Mannes.
„Herr Sekretär," wollte er schüchtern einwenden, aber der Alte
unterbrach ihn barsch:
„Keine Entschuldigung! Man kennt das! Ich weiß, was Ihnen
im Kopfe steckt. Sie befassen fich mit poetischer Gefühlsduselei und das
verträgt fich durchaus nicht mit einer pünktlichen, korrekten Büreauarbeit."
„Sie thuu nur Unrecht," ließ fich Emil abermals schüchtern hören.
„Unrecht? Schweigen Sie doch," polterte der Alte. „Da haben
Sie wieder in unserm Käseblättchen einige solcher gedrechselten Empfind-
ungen drucken lassen und neunen dieses Reimgektingel „Sonette." Wie
kommen Sie nur ans solche dumme Geschichten? Was steckt denn in
dem Zeug? Nichts, rein gar nichts. Mir Ihrer Versemacherei locken
Sie keinen Hund lstnterm Ofen hervor. Aber ein schön nnd sauber
copierter Bericht ist zehnmal mehr werth."
„O Prosa in Gestalt eines Büreanchefs," dachte der poetische
Copist. „Aber ich darf ja nicht murren. Bin ich doch Deine einzige
Stütze, Du gutes altes Mutterherz!"
Uud mit einem Seufzer führte der junge Mann die Feder über
das Papier, zierliche Buchstaben hinwerseud, während sein Geist draußen
über die blühenden Flnren eilte nnd einer schlanken Mädchengestalt folgte.
„Sehen Sie, ich meine es gut mit Ihnen," fuhr Zöpfle nach
einer Pause in freundlicherem Tone fort, „und rate Ihnen daher, den
ganzen Versekram zum Kuckuck zu werfen; Sie können dann ein recht
brauchbarer Schreiber werden. Nnn machen Sie fich an den Bericht."
Der alte Sekretarius trat an sein Pult zurück uud mit schmerz-
lichen Empfindungen begann Emil zu copieren. Auf seiner Brust lag
es wie eiu Alp. Tiefe Stille herrschte in der Stube; mau hörte nichts
als das Geräusch der in Thätigkeit gesetzten Federn.
Nach einer Weile bemerkte Zöpfle auf einem Seitentische einen
Aktenstoß.
„Herrje!" rief er überrascht und zornig aus, „da liegen ja noch
die Akten der letzten Sitzung! — Junker! Vergeßlicher Mensch! Habe
ich Ihnen nicht gestern Abend gesagt, daß Sie die Akten zum Herrn
Präsidenten bringen sollten? "
Erschrocken stand Emil vom Schreibtisch aus und sagte: „Ent-
schuldigen Sie — Herr Sekretär. — lieber der andern Arbeit —
vergaß ich ganz —"
„Das kommt davon, wenn mau statt au seine Arbeit, au dummes
Zeug denkt," polterte der Alte. „Lassen Sie Alles liegen uud tragen
Sie gleich die Akten zum Herrn Präsidenten."
Emil seufzte auf, nahm schweigend die Akten unter den Arm und
verließ die Kanzlei.
Brummend trat der Chef zu seinem Pulte, nahm dann die Brille
von der Nase und putzte sie mit einen: bunten Schnupftuch. Nachdem
er eine tüchtige Ladung Tabak zur Nase geführt hatte, nahm er seine
Arbeit wieder auf. Nach einer Pause griff er zum Saudfaß, streute
von dessen Inhalt aus einen zur Hälfte beschriebenen Bogen, faltete
denselben und wollte mit einer Oblate verschließen. Hieraus suchte er,
rechts uud links schauend, das Amtssiegel.
„Wo hat denn nur der Junker das Siegel hiugelegt?" brummte
er ärgerlich. Nach vielem vergeblichen Suchen zog er endlich die
Schieblade an Emils Schreibtisch aus, in welche Emil das Gedicht
hineingeworfen hatte.
„Ah, da ist es ja," sagte er ungeduldig. Im nächsten Augen-
blicke aber blieb er überrascht stehen und starrte mit offenem Munde
in die Schieblade. Der Alte traute seinen Augen kaum. „Was ist
das?" brummte er entrüstet und zog das Gedicht hervor: „Verse!
Ich will nicht hoffen, daß der Patron mein ehrwürdiges Bureau mit
seiner Dichterei entweiht! "
Der Zorn des alten Herrn wuchs; halb lant las er mit einem
ganz eigentümlichen Ausdruck:
Mathilden's — Augen — sind den Sternen gleich, —
„Nun seht doch einmal den Menschen an!" —
Die freundlich — funkeln — in den Sommernächten; —
„Wo hat der Mensch nur die Einfälle her?" — —
Und — doch — sind — sie bewohnt — von Zauber-
mächten, —
„Was der Tausend!" ,ZaubcrmächteÜ „Das ist mir denn doch
außer dem Spaß! Ist denn der Mensch närrisch? — Aber so kann's
nicht weiter gehen!"
 
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