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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Band [2] (Pind,2,2)): Die deutsche Plastik der Hochrenaissance — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 1929

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.55160#0123
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DER NEUE TYPUS DER PIETÄ

353

Habicht (Hans. Mal. u. PI. in
Skandin., Tat. 9, 10) zwei
ältere Steinfiguren von Lud-
go, die überhaupt nicht lü-
bisch sind. Literatur jetzt be-
quem bei Struck und Heise,
besonders auch im ,bübi-
schen Heimatbuch“ 1926.
g) Die Pieta am Ende
der dunklen Zeit
Der topographisch ge-
gliederte Überblick über
diese schwierige und bis-
her ganz unerschlossene
Epoche ist am Ende an-
gelangt. Der in Wahr-
heit ganz außerordent-
liche quantitative Reich-
tum ist auch ein Reich-
tum der Qualitäten und
Arten. Die Stämme und
Stätten zeigen unter sich
offenbar noch größere
Gegensätze als im frühe-
ren XVten. Daß aber zu-
gleich eine neue gemein-


337. Pieta aus Hedelfingen. Stuttgart.

same Basis entsteht, möge ein kurzer Blick auf den neuen Typus des Vesperbildes beweisen.
Der vorherrschende des weichen Stiles war repräsentativ, kultbildhaft gewesen. Er war formal ein Zeugnis des
Breitengefühles und des Horizontalismus: bildmäßig angeschaute, aber vollplastische Zuständlichkeit. Er war
überhaupt formal bestimmt und besonders in der südostdeutschen Kunst ein Feld für raffinierte Feinarbeiter

mehr, als für erlebende Dichter der Form. Das heiße Erlebnis, das die heroische wie die intime Pieta des Vierzehnten
erzeugte, die deutliche Spiegelung jener dichterischen Inbrunst des Wortes, die der plastischen Vision noch voran-
gegangen, war zur ausgeglichenen Repräsentationsform beruhigt. Das Vesperbild um und bald nach 1400 ent-
sprach vollkommen dem Horizontaltypus der Madonna: jenem symmetrisch gebreiteten mit dem liegenden Kinde.
Die Wurzelverbindung von Pieta und Madonna ist besonders eng. Die allgemeine Erschütterung, die wir ,,dunkle
Zeit“ nannten, tritt bei beiden besonders deutlich zu Tage. Hätten wir nun auch nichts als die Veränderung des
Vesperbildtypus, so sähen wir schon, daß Entscheidendes geschehen sein muß. Der Horizontaltypus tritt zurück,
ein neuer tritt in mehreren Varianten auf, eine wieder wärmer und gegenwärtiger erlebte Form — neben Ver-
steinerungen der alten natürliche. Und diese Form scheint mit westlicher Kunst und mit Malerei enger zusammen
zu gehen. Der Verf. hat in seiner kleinen Schrift „Die Pieta“ (Seemanns Bibi, der Kunstgesch., Bd. 29) darauf
hingewiesen, daß im Turiner Stundenbuche, also auf jeden Fall mindestens im weiteren van Eyck-Kreise, die-
jenige Form erscheint, die bei uns die Plastik der späteren dunklen Zeit verwirklicht hat. Sie erscheint dort im
Bilde kleinen Formates mit vier Nebenfiguren, und der Johannes besonders ist in einer Formverbindung mit Maria
gegeben; die in den Kreuzigungsszenen des Westens, gemalten wie geschnitzten, allgemein ist. Dennoch läßt
sich die Gruppe von Mutter und Sohn im Sinne der Plastik isolieren. Maria erscheint der Zeittracht angenähert,
mit Kinnbinde und weitem Kopftuche. Der Körper Christi wird nach vorne gedreht, in eine bildmäßige Ansicht
gezwungen. Dabei sinkt der Arm gebogen herab. Das ist die Form, die mit einigen Änderungen (betend ver-
schlungenen Händen der Maria, herabschießendem Haupthaar Christi) auch in einem Votivstein von Ellrich bei
 
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