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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Geisteskranken: ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung — Berlin, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.11460#0016
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des Beifalles jeder Partei und fordert verschärfte Kritik heraus. Da aber hier
wirklich nichts bewiesen und nichts gelehrt werden soll, so schien es wichtiger,
sich möglichst reiner Unvoreingenommenheit zu befleißigen und die methodi-
schen und weltanschaulichen Hintergründe so offen durchblicken zu lassen,
daß jedermann sich über die „persönliche Gleichung" des Verfassers klar
sein muß.

Wie sorgsam aber das Werten im Geiste irgend welcher Normen vermieden
wurde, so wird doch dem Kundigen kaum entgehen, daß diese oft anarchisch
anmutende Hingabe an Kleinstes wie an Größtes im Namen des einen Leit-
begnffes „Gestaltung" dennoch auf neu zu errichtende Normen hinblickt.
Zu so weitausholender Darstellung gab vielleicht gerade den stärksten Antrieb
die Vorausschau auf eine Zeit, die sich wieder um Normen bemühen wird.
Die könnten vor doktrinärer Enge bewahrt werden, wenn sie sich auch an
diesen neuen Bildwerken erproben müssen. Sollen wir den Angelpunkt unserer
Betrachtungsweise noch näher bezeichnen, so erinnern wir an Tolstojs Auf-
fassung der Kunst, der es entsprechen würde, wenn wir hinter der ästhetisch
und kulturell zu bewertenden Schale des Gestaltungsvorganges einen all-
gemein menschlichen Kern Vorgang annehmen. Der wäre in seinem Wesen
der gleiche in der souveränsten Zeichnung Rembrandts und in dem kläglichsten
Gesudel eines Paralytikers: Ausdruck von Seelischem. Vielleicht muß man der
ästhetischen und kulturellen Zugänge zu Gestaltetem völlig sicher sein, um zu
verstehen, wie jemand alles Wertens ledig solchen äußersten Wertgegensätzen
bedingungslos sich hinzugeben vermag. Denn beileibe nicht dürfte man eine
pharisäische oder banausische Auslegung des Satzes dahinter suchen: es ist hier
kein Unterschied--.

Heidelberg, Oktober 1921. Der Verfasser.

IV
 
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