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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Geisteskranken: ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung — Berlin, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.11460#0253
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Um diesen und den Quälereien zu entgehen, war er die letzte Zeit von Ort zu Ort gereist, — aber,
wo er hinkam, da war das „Ding" auch schon.

Knüpfer brachte seine Erlebnisse zwar in starken Worten vor: gräßliche Quälereien, es war der
Kelch des Leidens usw., aber ganz monoton, affektlos, in manierierter Sprechweise (mit Betonung
der Auslaute und Endsilben), die oft etwas Feierliches annahm. Dabei gebrauchte er gern etwas
geschraubte oder pastorale Wendungen. Das zeigt sich auch in seiner ausführlichen, 1903 selbst-
geschriebenen Lebensgeschichte, aus der hier einige Proben folgen: „Euer unsserm allverehrten
Landesfürsten Seiner Königlichen Hoheit Höchste Ordere Euer aller ergebenst bitte Euer Gnade
und Würde Hochachtungsvoll mir beistand geben, ich war allezeit vor Jugend auf bis heute im
alter von 37 Jahre 6 Mont. Euer Gnade und Würde für Fürsten und Vaterland, für Kaisser und
Reich, und alle hohe wirde, im Lande und der ganz auf der ganzen Erden, Euer Hoheit möchte
bitten meinen Lebenslauf zu beschreiben, von Jugend auf bis ans Ende, bin in V. im 18 März 1 866
geboren Amt W., und habe allezeit recht gehandelt gegen hohe und alle Leute zuvorkommen ge-
wessen in aller achtung, und bin in die Volksschule gegangen bis zu 14 Jahren und dann bin ich in
die Leher gekommen und habe die Bäckerei erlernt in Heilig+steinach und bin Rechtschafen auf-
gezogen worden, habe nicht gestohlen und habe sonsst allerwege meiner lebentszeit recht gehandelt

und der Vater ist früh gestorben--Etwas hätten ich nicht geklaubt auf welche Sachen sollche

Leute ausgehen das ist was altes bei diessen, aber die Gerechten, die haben sich schon früher daß
ich Geheirath gewessen bin schon alles schön ein verzält, die Frau wo sie mir aufgebracht haben,
diesse Gerechten schprechen die Wahrheit nicht, diesse sagten wir sagen zu unsserm Heu Storh und
zu unssern Storh Heu, ja wenn so was alles gehet da weiß ich nicht was ich sprechen soll, Menschen
von der Unschuld ins unglück zu bringen. Ich J. habe alle zeit nichts schlimmes geschprochen wie

heute noch.---aber meine Frau Wolte haben daß ich eingekerckert werde aber scheiten wolde

sie sich nicht lassen sondern ihr Verbrechen mit mir ausführen, da haben sie die Leute im hausse
schon gut unterrichtet wie sie es machen soll, aber Herr J. hatte sich geeussert er wolte mich kreuz
und Uberzwerg die Gelenderrie hinunter schmeissen und mich lebendig ihn seinem Keller begraben
das haben aber damals die Leute in der Nachbarhaft gehört so laut geschrieben, Ich hätte mal
das Gerücht hin nein führen wollen in sein Hinderhaus.--"

In der Anstalt entfaltete sich nun der bislang noch verhüllte religiöse Größenwahn. Er teilt dem
Arzt noch geheimnisvoll mit, er sei schon in der Jugend auserwählt worden. Niemand auf der Erde
hätte lebend das erringen können, was er errungen habe, niemand habe auch so viel gelitten, nicht
einmal Christus. Zwischendurch bittet er wieder, man solle doch das Martyrium nicht länger
fortsetzen und ihn lieber gleich vollends umbringen. In der Folgezeit ändert sich das Krankheits-
bild nicht mehr wesentlich. Knüpfer bleibt ein schwieriger Patient, der zwar gelegentlich auch zur
Arbeit geht, aber meistens in seine Wahnwelt so eingesponnen ist, daß er auf jede Anforderung von
außen gereizt reagiert. Bemerkenswert ist seine Liebe zu Tieren. Er beobachtet sehr aufmerksam,
setzt aber alles mit seinem Wahn in Beziehung. Die Stimmen der Vögel behauptet er genau zu
verstehen.

Das ganze Krankheitsbild ist typisch: es ist eine stille Schizophrenie, bei der sich keine akute
Phase deutlich abgrenzen läßt. Dementsprechend fehlt auch den Erlebnissen des Patienten offenbar
jener Charakter großartiger Visionen, die über einen hereinbrechen. Vielmehr ruht sein schizo-
phrenes Weltbild auf zahllosen kleinen Wahnerlebnissen, Umdeutungen, die sich langsam zusammen-

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