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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Geisteskranken: ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung — Berlin, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.11460#0395
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zwischen zwei Dreiecken (== Vogelflügel) als Schlange — unmöglich kann doch daraus hervor-
gehen, daß sie in diesem Streifen eine Schlange dargestellt haben. Es ist ebenso wahrscheinlich,
daß sie für solchen „Streifen" kein Wort besitzen und die lange dünne Form ein für allemal Schlange
nennen. Jedenfalls muß viel entschiedener der Grundunterschied festgehalten werden, der zwischen
der Entstehung (dem psychomotorischen Vorgang) und der späteren Wahrnehmung und Be-
schreibung besteht. Dem Primitiven bleiben einfache Formelemente Repräsentanten realer Objekte,
weil er sie nicht anders benennen kann. Wie sich diese Tatsache mit den mehr spielerischen und
dekorativen Tendenzen verquickt und von magischen Absichten wiederum überlagert wird, das
kann nur an großem Material und an Hand zahlreicher guter Einzeluntersuchungen verfolgt werden.
Niemals wird man sagen können, ein Ornament sei rein abbildend oder rein abstrakt entstanden,
sondern man wird in jedem Falle die beteiligten Gestaltungskomponenten kritisch abwägen müssen.

16) S.38. Am übersichtlichsten sind die Probleme des Zeichens als Bedeutungsträger immer
noch dargestellt bei Th. W. Danzel, „Die Anfänge der Schrift", Leipzig 1912.

17) S. 38. Daß diese übliche Begriffsbestimmung ganz äußerlich und unzulänglich ist, sei
eigens betcnt. Es lag uns aber daran, die verwickelte Problematik des Symbolbegriffs garnicht
erst aufzurühren, da wir zu unserem Material noch keine Forschungen in dieser Richtung vor-
legen können.

18) S. 40. Wir sind uns völlig klar darüber, daß die gedrängte Formulierung dieser für das Ver-
ständnis von Gestaltungsvorgängen wichtigsten Tatsachen terminologisch anfechtbar ist, da wir es
vermeiden, uns mit der seit einem Dezennium sehr regen psychologischen Einzelforschung über
Gestalt, Vorstellung u. a. m. auseinanderzusetzen. (Witasek, Koffka, Wertheimer, Köhler, Bühler,
Jaensch u.a.). Gegenwärtig erschien es wichtiger, die seelischen Gegebenheiten unseres Grenzgebietes
möglichst rein herauszuarbeiten, als zwischen den noch ungeklärten Meinungen psychologischer
Schulen hindurch zu lavieren. Nach unseren Erfahrungen in mündlicher Diskussion ist am meisten
zu befürchten, daß man unsere Problemstellung nicht verstehe aus mangelndem Verhältnis zur
bildenden Kunst. Nur wer als Produzierender, oder als Freund eines solchen, oder durch wirkliche
Versenkung in Berichte über künstlerisches Schaffen den Zugang zu unserem Material findet, steht
auf unserem Boden. Ja, man ist versucht, die innere Einstellung noch schärfer zu pointieren: als
Verstehender kommt noch nicht in Frage, wer seine Neigung zur Kunst etwa durch freiwillige
Anerkennung öffentlich längst anerkannter Künstler beweist, oder wer stolz ist, den persönlichen
Eigenheiten eines ihm bekannten Künstlers nachsichtig gerecht zu werden. Sondern letzten Endes
nur, wer innerlich stets bereit ist, den Gestaltungsvorgang noch in jeder Abart, sei es auch bei
einem grotesk-verstiegenen Anfänger oder bei einem ruinenhaften Künstlergreise, als ein im
Grunde ehrwürdiges Phänomen zu betrachten und den billigen Spott über die allerdings oft genug
absonderlichen Begleiterscheinungen des Produzierens dem dazu berufenen Spießer überläßt.

1!)) S. 42. Conrad Fiedlers Schriften über Kunst, herausgegeben von Marbach, Leipzig 1896.
Dann besonders „Der Ursprung der künstlerischen Tätigkeit".

20) S. 44. Was bei Fiedler als philosophische Betrachtung eines Kunstfreundes frei entwickelt
wird, nimmt bei Adolf Hildebrand (Das Problem der Form in der bildenden Kunst, 5. Aufl. 1905)
und H. Cornelius (Elementargesetze der bildenden Kunst. 1908) einen strengen lehrhaften Cha-
rakter an und stützt seither jene Richtung der philosophischen Ästhetik, die von einem absoluten
Formbegriff ausgeht.......-

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