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Probst, Hansjörg
Neckarau (Band 2): Vom Absolutismus bis zur Gegenwart — Mannheim, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.3003#0171
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Deutschen Bundestag in Frankfurt für das Zustandekommen gemeinsamer deut-
scher Gesetzgebung und einheitlicher Nationaleinrichtungen wirken. In Baden
selbst kam es zur Abschaffung der Zensur, zur Einrichtung von Bürgerwehren und
zur Einführung von Schwurgerichten durch die liberale Märzregierung. Der Fort-
gang der Revolution 1848/49 wird an anderer Stelle beschrieben. Nach der Nieder-
schlagung der Revolution durch preußische Truppen kehrte Großherzog Leopold
im Sommer 1849 in seine Hauptstadt zurück, um bis zu seinem Tod eine reaktionäre,
alle freiheitlichen Regungen unterdrückende und rachsüchtige Politik zu betreiben.
Die Aussöhnung des badischen Volkes mit seinen Monarchen war das Werk des be-
deutendsten Fürsten in der Reihe der badischen Großherzöge, des Großherzogs
Friedrich I. (1852-1907). Zuerst Prinzregent für seinen geisteskranken Bruder,
übernahm er 1856 den Titel „Großherzog" und vermählte sich im selben Jahr mit der
Prinzessin Luise, der Tochter des Prinzen Wilhelm von Preußen, des nachmaligen
preußischen Königs und ersten Deutschen Kaisers. Friedrich und Luise waren ein
ideales Fürstenpaar, das sehr bald die Liebe des badischen Volkes gewann und ei-
gentlich erst jetzt die badische Monarchie populär machte. Dazu trug bei, daß Groß-
herzog Friedrich ganz im Geiste des bürgerlichen Liberalismus erzogen war und an
den Universitäten Heidelberg und Bonn studiert hatte. Großherzogin Luise betä-
tigte sich jahrzehntelang im sozial-caritativen Bereich. Unter seiner Regierung be-
gann die große Zeit der badischen Nationalliberalen unter den Ministern Lamey,
Mathy und Jolly, die alle aus Mannheim stammten. Außenpolitisch schwankte er
lange zwischen Österreich und Preußen, wobei er von allem Anfang an eine geheime
Vorliebe für die kleindeutsche Lösung der deutschen Frage unter Preußens Führung
hatte. Diese konnte er aber in der Öffentlichkeit nicht vertreten, da in Baden die
Erinnerung an 1849 sehr lebendig und die Preußen außerordentlich verhaßt waren.
So beteiligte er sich im Krieg des Jahres 1866 auf der Seite Österreichs und des Deut-
schen Bundes gegen Preußen, um nach der Schlacht bei Tauberbischofsheim (23. bis
25. Juli 1866) sofort die Front zu wechseln und am 17. August Frieden mit Preußen
zu schließen. Die Folge dieses Friedens war ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis,
demzufolge im Kriegsfall die badischen Truppen unter preußischen Oberbefehl tre-
ten sollten. Das wurde Wirklichkeit im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.
Die badischen Truppen kämpften unter dem Kommando des preußischen Kronprin-
zen Friedrich in den Schlachten bei Wörth, Nuits und an der Lisaine. Besonders ak-
tiv war Großherzog Friedrich am Zustandekommen des Deutschen Reiches unter
Preußens Führung beteiligt. Am 18. Januar 1871, dem Reichsgründungstag, brachte
Großherzog Friedrich in Versailles das erste Hoch auf den neuen Deutschen Kaiser
Wilhelm I. aus. Im Unterschied zu Württemberg und Bayern hatte sich Baden vor-
behaltlos Preußen und dem neuen Deutschen Reich angeschlossen.
In der Innenpolitik herrschten die Nationalliberalen, was zu einem über zwanzigjäh-
rigen schweren Konflikt mit der katholischen Kirche führte: der deutsche Kultur-
kampf Bismarcks hatte in Baden seit den 50er Jahren ein besonders radikales und
häßliches Vorspiel. In diesen Zusammenhang gehörten die Einführung der Zivilehe
und die Zurückdrängung der Kirche aus dem Schulwesen. 1866 wurde die Konfes-
sionsschule aufgehoben und als staatliche Schulaufsichtsbehörde der Oberschulrat
eingesetzt. Die Schule wurde zur Gemeinschaftsschule. Fortbildungs- und Gewer-
beschulen entstanden, die Wissenschaften blühten auf, und die sozialen Verhält-
nisse besserten sich durch eine rasche Industrialisierung und den Ausbau der Ver-
kehrswege. Bemerkenswert ist die frühe Einführung der Gewerbefreiheit und die
staatliche Fabrikaufsicht, die dem Wohl der Fabrikarbeiter zugute kam. 1904 wurde
das Wahlrecht reformiert, indem die Abgeordneten der Zweiten Kammer nicht
mehr durch Wahlmänner nach dem Dreiklassenwahlrecht, sondern direkt nach dem
allgemeinen und geheimen Wahlrecht gewählt werden sollten. Wenige Wochen

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