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Probst, Hansjörg
Neckarau (Band 2): Vom Absolutismus bis zur Gegenwart — Mannheim, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.3003#0194
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Neckarau (gemeint war Bürgermeister Mayfarth) am anderen Tage machen wolle."
In revolutionärem Überschwang wurden wilde Drohungen ausgestoßen wie, daß
man die Gemeinderäte vom Rathaus „herunterschmeißen" müsse. „Den Gemeinde-
räten wolle man die Hälse abschneiden, Blut müsse fließen." Überhaupt hatte sich die
revolutionäre Stimmung so gesteigert, daß man Schlimmes befürchten mußte.
In der Frühe des 15. Mai kamen Georg Roßnagel, Philipp Mölber, Johann Kohl, Mi-
chael Strauß, Johann Ruf und Peter Winkler aufs Rathaus und forderten eine sofor-
tige Einberufung der Gemeindeversammlung. Dies geschah auf den Mittag. Von
382 stimmberechtigten Bürgern waren 312 erschienen. Peter Winkler als der Spre-
cher der Revolutionäre trug noch einmal die Forderungen an den Gemeinderat vor,
die längst fällige Geldverteilung endlich durchzuführen. Der Engelwirt riet, „in Got-
tesnamen einen Teil des Geldes herzugeben, da der Einfluß unserer gesetzlichen Be-
hörden gebrochen und von nirgends her Hilfe zu erwarten war." Alle anwesenden
Bürger stimmten dem zu, aus Furcht um ihr Leben wagten auch die „Gutgesinnten
nicht, dagegen zu sprechen. "24

Als nichts geschah, kam einige Tage später Nikolaus Schneider aufs Rathaus und
verlangte Einsicht in das Abstimmungsprotokoll. Dabei bemerkte er, daß der Ge-
meinderat nicht mitgestimmt hatte, rief den Revolutionsausschuß zusammen,
machte dem Gemeinderat heftige Vorwürfe und verlangte bei dem Ernst der Zeit,
daß Gewehre anzuschaffen seien, wenn es nicht gütlich gehe. In dieser revolutionä-
ren Versammlung verlas Peter Winkler die Offenburger Beschlüsse vom 12. Mai
1849, die er den Versammelten in einer dramatischen Rede erläuterte. Er sagte, es
gebe keine Regierung mehr, man brauche nämlich keine. Die Gemeinden seien
selbständig und könnten ihr Vermögen selbst verwalten. Aufgrund dieser Ereignisse
hatte sich die Stimmung verschärft, so daß gegen den Gemeinderat und Waisenrich-
ter Groh ein Mordanschlag verübt wurde, der allerdings scheiterte. So sah sich der
Gemeinderat am 21. Mai gezwungen, den Ertrag der Ausstockung des Gemeinde-
waldes und des Stollenwörthes in Höhe von 2862 fl 30 xr zur Verteilung an die Bür-
ger freizugeben. Das war jedoch nur ein Teil von dem, was die Revolutionäre eigent-
lich wollten. Sie wollten nämlich den zehnjährigen Ertrag des Gemeindewaldes der
Jahre von 1838-1848 in Höhe von 15 401 fl aufgeteilt haben. Da aber die Gemeinde
nach dem Zeugnis des Rentmeisters Orth nur 8935 fl 29 xr verzinsliche Außenstände
besaß, hätte man die restlichen 6447 fl 32 xr durch Umlage von den Vermögenden
erheben müssen. Spätestens hier drohte die Revolution zu einem echten sozialen
Umsturz zu werden. Um die aufgeregten Gemüter fürs erste zu beruhigen, ließ der
Gemeinderat 2 062 fl 30 xr unter die mittellosen Bürger verteilen, und zwar in barer
Zahlung 1825 fl und in Verrechnung auf offene Schulden 237 fl 30 xr. Zusätzlich soll-
ten noch 800 fl zur Verteilung kommen. Jeder Allmendberechtigte erhielt 6 fl 15 xr
ausbezahlt. Mit dieser Maßnahme gaben sich die Revolutionäre fürs erste zufrieden,
zumal sich nun die Ereignisse außerhalb Neckaraus dramatisch entwickelten.25
Am 19. Mai 1849 forderte die „Commission der Exekutivgewalt für den Unterrhein-
kreis" in Heidelberg das Bürgermeisteramt in Neckarau auf, unverzüglich alle Bür-
ger zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr aufzubieten und mit einem Führerund Na-
menslisten auf dem schnellsten Weg zum Sammelplatz nach Heidelberg zu schicken.
In dem Marschbefehl hieß es: „Das erste Aufgebot der Gemeinde Neckarau hat sich
morgen früh 8 Uhr mit Gewehren (für die, welche noch keine besitzen, werden hier
welche verabreicht werden) und den nötigen Kleidungsstücken hier auf dem Sammel-
platz in Heidelberg einzufinden, um eingeteilt zu werden. Für das Ausbleiben auch
nur eines Gemeinen sind der Gemeinderat und der Führer persönlich verantwortlich."
Daraufhin verlangte der Bürgermeister von den beiden Gemeindepfarrern, aus den
Standesregistern sämtliche zwischen 1820 und 1830 Geborenen mit Geburtsjahr,
Monat und Tag zusammenzustellen. Der Ratschreiber fertigte daraus eine Muste-

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