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Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0226
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Weltliches Recht, die Laien und das kleine Format

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hatte er enge Verbindungen nicht nur zu diesem Kloster, sondern auch zu an-
deren Bildungseinrichtungen wie Corbie und Reims, woher er vielleicht das
Material für seine Handschrift bezogen hat.19 Wir dürfen also keine strikte
Grenze zwischen Laien und Klerus ziehen. Jean-Pierre Brunterc'h hat dies in
einem Aufsatz zu rechtsgelehrten Laien des 9. Jahrhunderts eindrücklich de-
monstriert. Wer in dieser Zeit in Urkunden als legislator oder legis doctor be-
zeichnet wurde, hatte in der Regel enge Kontakte zu einer kirchlichen Institution
wie zu den Bischofssitzen Tours und Orleans.20 Die so bezeichneten Personen
waren auch weniger Theoretiker des Rechts als Praktiker mit Rechtswissen und
langjähriger Erfahrung in der Rechtsprechung. Meist fungierten sie als Grafen
oder Laienadvokaten, mitunter waren darunter aber wohl auch Leute ohne Amt
wie die „freien, im weltlichen Schriftrecht kundigen Männer", die in einem Ka-
pitular des Königs Karlmann von 884 erwähnt werden.21
Im Aussehen unterscheiden sich Rechtshandschriften im Besitz von Laien
nicht von Kodizes im kirchlichen Besitz: In beiden Fällen gibt es eine hohe Va-
rianz. Die Sammlung Eberhards von Friaul ist zwar im Original verloren, die
zwei erhaltenen Abschriften aus späterer Zeit lassen jedoch ein großformatiges
und mit Herrscherminiaturen prächtig ausgestattetes Exemplar vermuten.22 Die
Handschrift des Autramnus ist erhalten und hat ein auch sonst übliches Format
von ca. 260x200 sowie rot hervorgehobene Titel. Dagegen lässt die Kopie Eck-
hards, wenn sie denn wirklich nur die Lex Salica enthielt und keine anderen
Rechtstexte, ein kleines Format vermuten.
Aus diesem Befund kann somit nicht der Schluss gezogen werden, dass die
zahlreichen kleinformatigen Exemplare der Lex Salica notwendigerweise im
Besitz von Laien waren. In der Forschung gelten diese Kodizes als „Ge-
brauchshandschriften"23 - eine unglückliche Terminologie, die voraussetzt, dass
größere Formate wie diejenigen von Eberhard und Autramnus nicht in Gebrauch
waren. Die kleinformatigen Handschriften lassen vielmehr in erster Linie einen
niedrigen sozialen Rang erkennen, da die Schrift oft keine hohe Qualität aufweist
und wenig Sorgfalt bei der Ausstattung gewaltet hat. Sie sind daher vergleichbar
mit den Handschriften von Landpriestern, die sich durch dieselben Merkmale
auszeichnen.24 Mit den kleinen Formaten lassen sich daher möglicherweise die
„kleinen Welten" erschließen, auch wenn wir zwischen klerikalem oder laikalem
Hintergrund nicht unterscheiden können.
Unter die kleinen Formate unter 20 cm Höhe fallen 20 Handschriften. Kaum
einer dieser Kodizes lässt sich durch die Besitzgeschichte oder die Eigenart der
Schrift lokalisieren. Die meisten von ihnen versah Bernhard Bischoff mit der

19 Corbie: Boeren, Quelques remarques, S. 51; Reims: West, Advocate, S. 197 (wobei einige Hand-
schriften wie Paris, lat. 9654, Vat. Pal. lat. 582 und Cologny, 107 ohne ausreichende Belege mit
Reims in Verbindung gebracht werden).

20 Brunterc'h, Un monde, S. 425.

21 Karolomanni capitulare Vernense (884) c. 9, in: MGH Capit. II, Nr. 287, S. 374 (franci homines
mundanae legis documentis eruditi).

22 Mordek, Gesetzgeber, S. 1035-1048; Münsch, Liber legum, S. 71-88.

23 Mordek, Bibliotheca, S. 918.

24 Patzold, Bildung und Wissen; van Rhijn, The local church.
 
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