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II. Ebos Rücktritt 835 und die Diskussion der Absetzung bis 867
Ebos. Er interpretiert sie als besonderen Ausweis des reflektierten politischen
Denkens in der Karolingerzeit, das im 10. Jahrhundert jedoch verloren gegangen
sei. Als Beleg dafür verweist er auf die Darstellung von Bischofsabsetzungen bei
Flodoard und auf die Absetzung Arnulfs von Reims. Flodoard habe die kom-
plexen karolingischen Denkmodelle simplifiziert118. Steffen Patzold hingegen
sieht Flodoard als einen Multiplikator des karolingischen Wissens vom Bi-
schofsamt an, der im 10. Jahrhundert den Wissensbestand rund um die Auto-
rität, Würde und Verantwortung der Bischöfe weitergab und zementierte, da er
selbst noch im karolingischen Denken trainiert und ausgebildet worden sei.
Zwischen diesen beiden Positionen ist das folgende Kapitel angesiedelt. Das
Verfahren gegen Ebo von Reims 835 wirkte stilbildend. Es war das erste formale
Verfahren einer Bischofsabsetzung und die hier von den Anklägern gewählten
Elemente des Verfahrens, der performative Ansatz, die zum Einsatz kommenden
Rituale und die Verwendung von Schriftstücken im Prozess sollten bei anderen
Fällen als Vorbild dienen. Deshalb eignet sich der Fall Ebos gut, um als eine Folie
für die folgenden im Rahmen dieser Arbeit betrachteten Bischofsabsetzungen zu
dienen.
2. Texte, Praktiken und Deutungen des 9. Jahrhunderts
2.1. Ebos „Rücktritt" 835 und sein Apologeticus: Sündenbekenntnis
und Resignation
Ebo hatte 835 ein Sündenbekenntnis unterschrieben und öffentlich verlesen.
Dieses Bekenntnis ließ einen breiten Spielraum für nachträgliche Interpretatio-
nen, wie noch zu sehen sein wird. Die an der Absetzung in Diedenhofen 835
Beteiligten legten einen immensen Wert auf die Betonung der Freiwilligkeit
seines Rücktritts, was sich zum einen sicher mit kirchenrechtlichen Vorgaben
erklären lässt. Es gibt zwar keine systematische Sammlung von Kanones zu
Bischofsabsetzungen, aber eine Resignation eines Bischofs von seinem Amt war
in Anlehnung an das Konzil von von 374 nur möglich, wenn der betreffende
Bischof die Erklärung freiwillig selbst unterzeichnete, und zwar im vollen Besitz
seiner geistigen Kräfte119. Die öffentliche Demonstration der Freiwilligkeit und
118 Vgl. Airlie, Not rendering, S. 497-499. Laurent Jegou hingegen sieht bei Arnulfs Absetzung eine
neue Form der reflektierten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des abtrünnigen Bi-
schofs. Im Gegensatz zum 10. Jahrhundert sei nun unter Gerbert eine neue, auf einer Hierar-
chisierung rechtlicher Normen basierende Herangehensweise zu beobachten (Jegou, L'eveque,
S. 429-431).
119 Kirchenrechtlich war vorgeschrieben, dass ein Bischof seinen Rücktritt freiwillig erklären muss.
Zu dem kirchenrechtlichen Hintergrund (Konzil von Valence 374, Vermittlung über Hispana)
Fuhrmann, Einfluß III, S. 629 f; Vgl. auch die Bemerkungen von Ernst-Dieter Hehl in Cone. VI, 1,
S. 203-207 zum Fall Herods von Salzburg. Da es bei Ebo aber nicht zu einem Devestiturritual mit
der Entkleidung aus den Bischofskleider und der Ablegung der Bischofsinsignien kam, ist nicht
II. Ebos Rücktritt 835 und die Diskussion der Absetzung bis 867
Ebos. Er interpretiert sie als besonderen Ausweis des reflektierten politischen
Denkens in der Karolingerzeit, das im 10. Jahrhundert jedoch verloren gegangen
sei. Als Beleg dafür verweist er auf die Darstellung von Bischofsabsetzungen bei
Flodoard und auf die Absetzung Arnulfs von Reims. Flodoard habe die kom-
plexen karolingischen Denkmodelle simplifiziert118. Steffen Patzold hingegen
sieht Flodoard als einen Multiplikator des karolingischen Wissens vom Bi-
schofsamt an, der im 10. Jahrhundert den Wissensbestand rund um die Auto-
rität, Würde und Verantwortung der Bischöfe weitergab und zementierte, da er
selbst noch im karolingischen Denken trainiert und ausgebildet worden sei.
Zwischen diesen beiden Positionen ist das folgende Kapitel angesiedelt. Das
Verfahren gegen Ebo von Reims 835 wirkte stilbildend. Es war das erste formale
Verfahren einer Bischofsabsetzung und die hier von den Anklägern gewählten
Elemente des Verfahrens, der performative Ansatz, die zum Einsatz kommenden
Rituale und die Verwendung von Schriftstücken im Prozess sollten bei anderen
Fällen als Vorbild dienen. Deshalb eignet sich der Fall Ebos gut, um als eine Folie
für die folgenden im Rahmen dieser Arbeit betrachteten Bischofsabsetzungen zu
dienen.
2. Texte, Praktiken und Deutungen des 9. Jahrhunderts
2.1. Ebos „Rücktritt" 835 und sein Apologeticus: Sündenbekenntnis
und Resignation
Ebo hatte 835 ein Sündenbekenntnis unterschrieben und öffentlich verlesen.
Dieses Bekenntnis ließ einen breiten Spielraum für nachträgliche Interpretatio-
nen, wie noch zu sehen sein wird. Die an der Absetzung in Diedenhofen 835
Beteiligten legten einen immensen Wert auf die Betonung der Freiwilligkeit
seines Rücktritts, was sich zum einen sicher mit kirchenrechtlichen Vorgaben
erklären lässt. Es gibt zwar keine systematische Sammlung von Kanones zu
Bischofsabsetzungen, aber eine Resignation eines Bischofs von seinem Amt war
in Anlehnung an das Konzil von von 374 nur möglich, wenn der betreffende
Bischof die Erklärung freiwillig selbst unterzeichnete, und zwar im vollen Besitz
seiner geistigen Kräfte119. Die öffentliche Demonstration der Freiwilligkeit und
118 Vgl. Airlie, Not rendering, S. 497-499. Laurent Jegou hingegen sieht bei Arnulfs Absetzung eine
neue Form der reflektierten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des abtrünnigen Bi-
schofs. Im Gegensatz zum 10. Jahrhundert sei nun unter Gerbert eine neue, auf einer Hierar-
chisierung rechtlicher Normen basierende Herangehensweise zu beobachten (Jegou, L'eveque,
S. 429-431).
119 Kirchenrechtlich war vorgeschrieben, dass ein Bischof seinen Rücktritt freiwillig erklären muss.
Zu dem kirchenrechtlichen Hintergrund (Konzil von Valence 374, Vermittlung über Hispana)
Fuhrmann, Einfluß III, S. 629 f; Vgl. auch die Bemerkungen von Ernst-Dieter Hehl in Cone. VI, 1,
S. 203-207 zum Fall Herods von Salzburg. Da es bei Ebo aber nicht zu einem Devestiturritual mit
der Entkleidung aus den Bischofskleider und der Ablegung der Bischofsinsignien kam, ist nicht