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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0184
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2. Ein neuer Ebo? Der Fall Ebo in Flodoards Historia Remensis Ecclesiae

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2.2. Die Visio Raduini und Ebos Sturz
Die Verfasserschaft der Visio Raduini756 ist zwar unbekannt, vermutlich ist die
Visio aber von Hinkmar oder unter seiner Aufsicht geschrieben worden757. Der
Text enthält zwei zentrale Aussagen: zum einen geht es um das Krönungs- und
Salbungsrecht des Reimer Erzbischofs, das mit der Bekehrung Chlodwigs durch
Remigius begründet wurde und zweitens um die Verdammung Ebos.
„Während der Vorsteher Ebo also häufig im Palast verweilte, ist auf folgende
Weise eine Vision über ihn im Kloster Sankt Remi offenbart worden: Es gab dort
einen gewissen Mönch mit Namen Raduin, langobardischer Abstammung, (der
zuvor Abt des Klosters auf dem Monte Bardonis gewesen war, in Italien ist die
Erinnerung an den heiligsten Remigius sehr stark durch die ihm gewidmeten
Studien des Moderannus von Rennes). In diesem Kloster lebte der vorgenannte
Raduinus nun als Mönch, bewegt von der Liebe zu den Verdiensten des Heiligen
Remigius, betete er an der Schwelle zu dessen Grab. (Er bemühte sich eifrig
zusammen mit den Brüdern dieses Ortes ein religiöses Leben zu führen dem
Himmel würdig und sich für den Kampfeinsatz für Gott zu rüsten). An einem
Tag aber, und zwar an Mariä Himmelfahrt, nach dem Offizium der feierlichen
Matutin (...) blieb jener allein im Chor zurück, um in Stille zu beten. Dort von der
Fortsetzung der Psalmen ermüdet, fiel er in einen Schlummer. Er sah aus dem
Grab des Heiligen Herrn Bischofs die heiligste Jungfrau von vielen Lichtern
umgeben aufsteigen an ihrer Seite Johannes der Täufer und der Heilige Remigius
selbst und sie gehen gemessenen Schrittes die Stufen hoch. Die ruhmvollste
Jungfrau aber legte diesem die Hand sanft auf den Kopf und sagte: 'Was machst
Du hier, Bruder Raduinus?' Während er sich niederwarf fuhr sie fort: 'Wo ist Ebo,
Erzbischof von Reims?' Er antwortete: 'Er kümmert sich auf Befehl des Königs
um Angelegenheiten des Hofes'. 'Warum' sagte sie 'hält er sich so häufig am Hofe
auf? Von dieser Sache wird ganz und gar nicht die Wirksamkeit der Heiligkeit
bereichert werden. Es wird nämlich die Zeit kommen, zu der er nicht mehr mit
diesen Dingen beschäftigt sein wird'. Da dieser nichts auf das Gehörte antwor-
tete, setzte sie die Ansprache fort: 'Welcher Streit wird bei euern Menschen gegen
den König geführt?' Darauf antwortete er: 'Herrin, Mutter des Retters der Welt,
Deine unvergängliche Heiligkeit weiß besser, was für lügenhafte Dreistigkeiten
von dem Übel der cupiditas verlockt, zur Zeit grassieren.' Dies war nämlich die
Zeit, in der der Kaiser Ludwig von seinen gekränkten Söhnen bekämpft wurde.
'Siehe, diesem', sagte sie indem sie die Hand des Heiligen Remigius fest um-
schloss, 'ist von Christus die allumfassende Macht (auctoritas) über das Reich der
Franken für alle Zeit übertragen worden', in der Tat empfing er ebenso die

756 Flodoard, Historia Remensis, II, c. 19, S. 182f. Hier in Auszügen und in eigener Übersetzung
(CK) wiedergegeben.

757 Vgl. Patzold, Episcopus, S. 355; Zur Visio Raduini: vgl. Sot, Historien, S. 478; Carozzi, Voyage,
S. 351-53; Zuschreibung an Hinkmar auch bei Stratmann, De ministris, S. 121, gegen die Da-
tierung auf Ende des 9. Jahrhunderts unter Erzbischof Fulko von Reims. Der Vorschlag von
Signori, Flodoard habe selbst die Visio Raduini geschrieben (vgl. Dies., Maria, S.75) ist nicht
überzeugend. Inhalt und Kritik an Ebo spiegeln die Hinkmar'sche Gedankenwelt wider.
 
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