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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0237
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VIII. Wissensaufbereitung und Deutungskämpfe: Arnulf von Reims

Eine seiner Strategien besteht darin, Arnulf als Judas zu diskreditieren, je-
doch arbeitet er mit der doppelten diskursiven Bedeutung. Einmal ist Judas ein
Verräter am König (so im Brief Hugos an Papst Johannes), die andere Ebene aber
betrifft den Judasdiskurs im Rahmen der Kirchengutsdebatte des 9. Jahrhun-
derts. Judas ist derjenige, der die Kasse der Apostel verwaltete und veruntreute.
Auf dieses Bild wird im Brief der Bischöfe der Reimser Kirchenprovinz ange-
spielt, die Arnulfs als Judas bezeichnen, da er seine eigene Kirche verwüstet
habe. An dieser Stelle ist auch der Fluchpsalm einzuordnen. In der Psalmaus-
legung wird er in Verbindung mit Judas und seinem Selbstmord gebracht. Von
Gerbert wird die Selb stverfluchung dem Treueid beigefügt und dient in den Acta
dazu, Arnulfs Ausschluss aus der Gemeinschaft (die als ecclesia gedeutet wird,
als Gemeinschaft aller Christen) zu rechtfertigen, da er die fundamentale
Rechtsordnung der Treue gebrochen hat, die gleichgesetzt wird mit der Treue zu
Gott. Zudem ist eine Absetzungssentenz mit vorweggenommen (mein Bi-
schofsamt solle ein anderer erhalten). Wir können aus Gerberts Komposition nur
zwischen den Zeilen lesen, dass es Widerstände gegen die Benutzung des Chi-
rographen gab. Neben den lothringischen Bischöfen, die explizit als Bedenken-
träger genannt werden, erfahren wir an versprengten Stellen noch von Ratbod
von Noyon als Verteidiger Arnulfs und den anderen vier namentlich genannten
Verteidigern. Ob sie gegen den Chirograph und den Fluchpsalm Einspruch er-
hoben haben, wissen wir nicht. Ob der Psalm tatsächlich 988 so ausgesprochen
wurde oder nicht, ist nicht unser Thema. Aber die Inserierung in den Akten legt
für den Leser/Hörer eine bestimmte Deutung nahe, nämlich dass wie bei Judas
selbst in Arnulfs Fall durch den erstmaligen Ausspruch des Psalms (lange vor der
Anklage und der Absetzung) das spätere Schicksal Arnulfs vorweggenommen
wurde. Die Konstruktion des Judasbildes in den Akten basiert hauptsächlich auf
diesem Psalm, der dem Remigiustestament bei Flodoard entnommen worden ist
und in engem Zusammenhang mit dem Kirchengutdiskurs des 9. Jahrhunderts
steht, wie er vor allem von Hinkmar von Reims in seinen Bemühungen um die
Sicherung des Reimser Besitzes bestimmt worden ist.
Gerbert besteht auf der Zuständigkeit der Bischöfe und beharrt auch noch in
dem Brief an Wilderod von Straßburg auf dem karolingischen Bußdiskurs: Der
König kann Arnulf gar nicht vergeben, nur die Bischöfe können die Banden lösen
und Arnulf wieder in die Gemeinschaft aufnehmen. Sicher ging es Gerbert
darum, seine Position zu festigen und die Absetzung zu rechtfertigen, doch ist
grundsätzlich festzuhalten, dass sich die Interessen Gerberts und Hugo Capets
eben nicht deckten.
Für das Scheitern von Gerberts Strategie dürfte weniger der — in der Tat
greifbare — Gegensatz zwischen Laien-Eliten und „Männern der Kirche", son-
dern vielmehr die Ausdifferenzierung innerhalb der führenden politischen und
kirchlichen Gruppen verantwortlich sein. Auch wenn der Hof in der Karolin-
gerzeit keine feste Institution gewesen sein mag, sondern eine Ansammlung von
Personen an einem bestimmten Ort, so konstituierten diese Personen und ihre
Ämter in ihren Versammlungen doch einen politischen und kulturellen Raum,
eine kommunikative Gemeinschaft. In diesem Raum wurde auch gegen Bischöfe
verhandelt. Einen solchen Prozess, der symptomatisch für die Verschränkung
 
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