Eulenbergs Menschen handelten nicht aus psychologisch kontrollier-
baren Beweggründen, sondern aus jähen Impulsen. Sie hielten nicht fest
auf ein Ziel zu, sondern hüpften unfassbar närrisch herum. Sie über-
rumpelten fortwährend sich und uns. Dieses Werk aber enthält drama-
tische Existenzen, Menschen, deren Schöpfer weiss, was er mit ihnen will,
die selbst wissen, was sie wollen, und die trotzdem nicht etwa un-
kompliziert sind.
Leider sind sie in irgendeine dramatische Handlung gestellt; und
müssten in die dramatische Handlung gestellt sein, der ihr Wesen nicht
entrinnen kann Noch einmal (von links herum, wie der Schadchen Cyriak
sagt): was diesen Vincenz zeitlebens erfüllt und schliesslich umbringt,
und was uns an seinem Schicksal nahegeht, das ist völlig unabhängig von
seinen Geldnöten; die Jagd nach dem Geld aber nimmt vier Fünftel des
Stückes ein. So ist es gründlich verformt. Schade. Denn es hat in aller
Eintönigkeit eine berückende Klangfülle, in aller Einfarbigkeit ein strah-
lendes Nuancenspiel. Es ist voll von schrullenhaften Humoren, die dies-
mal nicht von Jean Paul und Dickens und Raimund, sondern durchaus
von Eulenberg sind. Es ist gleichwohl ein Trauerspiel und wird in seiner
melancholischen Bangigkeit, die der Weichlichkeit noch immer zur
rechten Zeit ausbiegt, eine Zuflucht vordem Jahrmarktslärm des Tages
für jedes traumulische Dasein bleiben, für den ewigen Menschenschlag,
den der Dichter Eulenberg von jeher gestalten wollte und hier einmal
gestaltet hat: Sehnsuchtsvolle Hungerleider nach dem Unerreichlichen.
Dieses Nachtstück, auf der Maultrommel gespielt, verlangt einen
Stil, der Schärfe und Ungreifbarkeit zu einer Art fliessender Plastik
vereinigt. In der Dachkammer, wo die Gläubiger des Vincenz, Seelen-
verkäufer von abgestorbener, nicht recht geheurer Lustigkeit, ihren
gespenstigen Flackertanz vollführen — da muss immer wieder die
Stimmung eines Albdrucks entstehen, den der Morgen verscheucht
und die nächste Finsternis neu gebiert. Eulenberg hat vor zehn Jahren
so gedichtet, wie heute überall inszeniert wird. Auch im Schlosspark-
Theater. Dessen Direktor, Regisseur und Protagonist heisst Paul
Henckels. Sollte er als Garten-Thespis und Vorort-Jessner auf die
Dauer versagen, so wird sich die Reichshauptstadt des Mimen bemächti-
gen. Einhochgeschossener, langarmiger, vogelprofiliger, bühnefüllender
Gestalter, aus dessen Augen Strahlen von überlegener Ironie auf die
Grübelfalten des sehnigen Antlitzes fallen. Eine Freude, ihn undeklama-
torisch Eulenbergs Sprache beseelen zu hören, die sich zu Edschmids
verhält wie Nachtigallengesang zu Fröschegequak.
Siegfried Jacobsohn
205
baren Beweggründen, sondern aus jähen Impulsen. Sie hielten nicht fest
auf ein Ziel zu, sondern hüpften unfassbar närrisch herum. Sie über-
rumpelten fortwährend sich und uns. Dieses Werk aber enthält drama-
tische Existenzen, Menschen, deren Schöpfer weiss, was er mit ihnen will,
die selbst wissen, was sie wollen, und die trotzdem nicht etwa un-
kompliziert sind.
Leider sind sie in irgendeine dramatische Handlung gestellt; und
müssten in die dramatische Handlung gestellt sein, der ihr Wesen nicht
entrinnen kann Noch einmal (von links herum, wie der Schadchen Cyriak
sagt): was diesen Vincenz zeitlebens erfüllt und schliesslich umbringt,
und was uns an seinem Schicksal nahegeht, das ist völlig unabhängig von
seinen Geldnöten; die Jagd nach dem Geld aber nimmt vier Fünftel des
Stückes ein. So ist es gründlich verformt. Schade. Denn es hat in aller
Eintönigkeit eine berückende Klangfülle, in aller Einfarbigkeit ein strah-
lendes Nuancenspiel. Es ist voll von schrullenhaften Humoren, die dies-
mal nicht von Jean Paul und Dickens und Raimund, sondern durchaus
von Eulenberg sind. Es ist gleichwohl ein Trauerspiel und wird in seiner
melancholischen Bangigkeit, die der Weichlichkeit noch immer zur
rechten Zeit ausbiegt, eine Zuflucht vordem Jahrmarktslärm des Tages
für jedes traumulische Dasein bleiben, für den ewigen Menschenschlag,
den der Dichter Eulenberg von jeher gestalten wollte und hier einmal
gestaltet hat: Sehnsuchtsvolle Hungerleider nach dem Unerreichlichen.
Dieses Nachtstück, auf der Maultrommel gespielt, verlangt einen
Stil, der Schärfe und Ungreifbarkeit zu einer Art fliessender Plastik
vereinigt. In der Dachkammer, wo die Gläubiger des Vincenz, Seelen-
verkäufer von abgestorbener, nicht recht geheurer Lustigkeit, ihren
gespenstigen Flackertanz vollführen — da muss immer wieder die
Stimmung eines Albdrucks entstehen, den der Morgen verscheucht
und die nächste Finsternis neu gebiert. Eulenberg hat vor zehn Jahren
so gedichtet, wie heute überall inszeniert wird. Auch im Schlosspark-
Theater. Dessen Direktor, Regisseur und Protagonist heisst Paul
Henckels. Sollte er als Garten-Thespis und Vorort-Jessner auf die
Dauer versagen, so wird sich die Reichshauptstadt des Mimen bemächti-
gen. Einhochgeschossener, langarmiger, vogelprofiliger, bühnefüllender
Gestalter, aus dessen Augen Strahlen von überlegener Ironie auf die
Grübelfalten des sehnigen Antlitzes fallen. Eine Freude, ihn undeklama-
torisch Eulenbergs Sprache beseelen zu hören, die sich zu Edschmids
verhält wie Nachtigallengesang zu Fröschegequak.
Siegfried Jacobsohn
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