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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 1.1921

DOI issue:
Heft 6
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"Alles um Geld"
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https://doi.org/10.11588/diglit.62259#0244

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den Zahlenmenschen einen Musiker; den gewissenlosen Spekulanten
einen gewissenszarten Phantasten, der keine Unschuld für sich leiden
lässt Im Drama werden die gallischen Typen durch die pittoresk vor-
überhuschenden Episoden kleiner Halsabschneider, Börsianer und
Heiratsvermittler vertreten. Eulenberg müht sichredlichab, denGegen-
satz zwischen absonderlichen und gewöhnlichen, zwischen träumenden
und rechnenden Menschen sinnfällig und dramatisch zu machen. Das
Malheur ist nur, dass er seinen Aufwand beinah für nichts vertut, dass
er jenen Gegensatz eigentlich garnicht ausnutzt. Auf Vincenz läuft
Alles hinaus. Aber die Geldnot kann ernstlich einer Seele nichts anhaben,
die in anderen Welten lebt; und was diese Seele ernstlich trifft, hat
nichts mit Geld und Geldeswert zu schaffen. Wenn dieses Drama
undramatisch ist, wenn dieser Körper kein Rückgrat hat und an vielen
Stellen blutleer anmutet: so kommt das daher, dass der Gegensatz
unnotwendig, dass er ein Akt dichterischer Willkür ist.
Einen zweiten Gegensatz konstruiert Vincenz mit dem Munde. Er
erklärt für ein Unglück, dass er mehr Geist als Glück, mehr Genie als
Geld habe. Dazu würde noch nichts gehören. Aber wo ist sein Genie,
ich meine sein Geist? Müsste er nicht wenigstens durch Worte hörbar
werden, da er durch keine Leistungen sichtbar wird? Verzichten wir
auch darauf, um endlich zur Freude an der Schönheit dieser Dichtung
zu kommen. Vincenz hat weder Geist noch Glück, weder Genie noch
Geld. Aber er hat: Sehnsucht. Er und sein Tross, sein verkrüppelter
Sohn, seine romantische Tochter, sein empfindsamer Schreiber und
Ursula, die prächtige alte Gefährtin seines jammervollen Ausgangs: sie
Alle sind wie im Exil, von einem schönem Stern in diese kalte Welt ver-
bannt. Sie frieren allein und wärmen sich an einander. Sie schwelgen
in ihrem Heimweh und berauschen sich an ihren Ekstasen. Sie glauben
lachend an ihre Träume und träumen zehn neue, wenn einer zerrinnt.
Eulenberg gibt hier meisterhaft die besondere Not jedes Einzelnen und
die Atmosphäre von freudiger Entrücktheit, die sie Alle umschimmert
und verbindet. Von dieser Atmosphäre geht ein Zauber aus, der sogar
in die hässliche praktische Welt hinübergreift. Ein fetter Börsenmensch
wird gut und hilfreich, ein unbedenklicher Verführer ziemlich menschen-
ähnlich. Die blühende Beredsamkeit ist für jenes ausgesetzte Häuflein
nur ein Mittel mehr, sich zu betäuben. Darum ist sie diesmal sogar
dramatisch unanfechtbar. In andern Fällen ist sie es nur sprachlich
gewesen. Von jeher klang jedes Wort von Eulenberg neu und eigen,
weil seine Menschen immer ein volles, ganz von einer Empfindung volles
Herz hatten. Aber es brauchte nicht immer dieselbe Empfindung zu sein.

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