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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 1.1921

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Heft 1
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Friedländer, Max J.: Über das Kunstsammeln
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Heft 2/3
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Wedderkop, Hermann von: Karl Sternheims neues Stück: Der entfesselte Zeitgenosse: (Uraufführung in Darmstadt)
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https://doi.org/10.11588/diglit.62259#0121

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KARL STERNHEIMS NEUES STÜCK:
DER ENTFESSELTE ZEITGENOSSE
URAUFFÜHRUNG IN DARMSTADT
Quintessenz dieser neuen Komödie ist das Rezept einer Reispunsch-
torte, dem Herr v. Schmettow, Diplomat, Golfspieler, deutscher
Gourmet, dem zum erstenmal die geheimen Wunder der welschen
Küche aufgehen, im Auto nachhetzt. Dieses Rezept hat er hinten-
herum durch Schustern bei dem jüdischen Maitre d’Hötel des reichen
Fräuleins Cassati bekommen, die bekurt wird von 1. ihm, 2. einem
Tenor, 5. einem Admiral, 4. einem augenblickserregten Journalisten
und Ö. einem jüdischen Politiker.
Diese fünf erscheinen zuerst, als der Vorhang wegrauscht, in
Form von glühenden Zigarrenstummeln bei völlig verdunkelter Szene.
Als Licht gemacht wird, sitzen sie in schwarz-weiß-roten Klubsesseln
mit Taburett daneben, auf dem ein Cognakflacon mit Riesenschenkglas
steht. Auch bei Licht bleibt es finster um sie her. Nur Sternheim
brilliert, schwelgt in den süßen Ahnungslosigkeiten der fünf Mitgift-
jäger. Er hat sich am meisten des Admirals angenommen, der, wie
sich später erweist, weder schwimmen kann, noch eine Flotte hat.
Der jüdische Politiker endigt sämtliche Sätze, deren Anfang er aus
dem politischen Lehrbuch großer Zeiten genommen hat, mit „etc. pp.“
Auch der Tenor singt dauernden Kitsch, knödelt mitten in erregten
Unterhaltungen die vier Töne eines Dominantakkords, zusammenhang-
los. nur durch das Einzige des Tenors voll gerechtfertigt. Dieser
erfreut sich denn auch wegen der schlagenden Einfachheit seiner
Mittel der ausgesprochenen Ungunst der vier anderen, die nur bei
schärfstem Nachdenken (Schmettow) oder in starker moralischer
Erregung (Admiral) zu unkünstlerischen Aeußerungen gelangen.
Zwingt ein kitschiger Zusammenhang den Tenor, so singt er auch
mal: Ach wie so trügerisch sind Weiberherzen.
Diese fünf haben sich, immer schon wieder ausgesiebt, im Schloß
von Fräulein Cassati am Bodensee etabliert, um hier den Besitz der
Dame anzutreten. Sie sind derart konfus oder von so kollektiver Hinter-
list, .daß sie sich gegenseitig Korpsgeist im Vorgehen zugeschworen haben.
Diesen beweisen sie bei einem Sturm auf dem Bodensee, dem
sich das Fräulein Cassati vereint mit ihnen in einem Boot entgegen-
wirft. Sie stürzt sich in die Flut und hört außer dem Geräusch der
Elemente nur Geschrei und gegenseitiges Anfeuern, besonders von
Seiten des jüdischen Politikers Verhaltungsmaßregeln. Mann der
Tat ist Herr Klette, Outsider, frischer Schippei, der in diesen festen
Kreis einige Tage vorher eingebrochen ist, ohne Prätention und

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