S li IMM I
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Wilhelm Hausensfein und Wilhelm Worringer haben kürzlich ernst,
kurz und prägnant den Expressionismus erledigt. Diese Erledigung
bezieht sich indessen nur auf den bewußt angebrachten Expressionismus,
stärksten Exponenten modernen Fühlens. Während diese weit vor-
drängenden Pioniere also abgewirtschaftet haben sollen, beginnt jetzt
der Expressionismus als Ganzes in die unbewußte Volksseele ein-
zuziehen und sich hier besonders in den Beinen auszuprägen. Wer
in der „Skala“ in Berlin Shimmi gesehen hat, ist hiervon überzeugt.
Es wird zwar einfach immer hier von dadaistischen Elementen ge-
sprochen, aber Dada kommt garnicht in Betracht, da er alles andere
als eine Kunstrichtung sein will, sondern distinguiert abwartend bei
Seite steht. Shimmizweck war zunächst hygienisch. Zur Dicke neigende
Leute in eleganter Form, nämlich zwischen den einzelnen Gängen
eines Diners abnehmen zu lassen, ihnen wieder Appetit zu machen
und Wurstgliedern schärfere Profile zu geben. Der Amerikaner tanzt
in den großen Hotels ständig in den Essenspausen, wenn er sich
nicht gerade mit dem Kurszettel beschäftigt. Darnach bedeutet Shimmi,
künstlerisch gesprochen, Auflösung der menschlichen Gestalt in unten
geometrische Gebilde, oben Auflösung in atmosphärisches durch
Schüttelbewegung.
Diese Erweckung unbewußter Instinkte, die die Thesen ex-
pressionistischer Pioniere besser bestätigen, als kühnste Konzeptionen
und stärkstes kosmisches Lieber- und Durcheinandergeschiebe mußte
uns von England kommen. Denn nur mit englischem Feuer läßt
sich ein Jazzband treiben, die wiederum nötig ist, damit die unbe-
wußten Instinkte herauskommen. Diese zeigen sich eruptiv bei den
Klängen fabelhaftester Musik mit unerbittlichem Rhythmus,unterschieds-
los bei allen Ständen, beim Ladenschwung, Grafen, haute finance, Juden
und Christen. Nichts ist elementarer als ein achtköpfiges Instrument,
das als Unterlage, Urschlamm, eine große Trommel hat. Hieran sind
angebracht und werden von einem Schöpfer bedient: Triangel,
Schmetterschellen, kleine Trommel, Schnarrinstrument, Kuhglocken,
Holzbretter und ein gardemäßiges Näselinstrument. Beiläufige In-
strumente sind ein Flügel, Violine und Klampfe mit Tamburin und
Schellen. Dies Gesamtgebilde, so heterogen es ist, geht einheitlich
ins Zeug und erschrickt in ununterbrochener Stärke, zweimal in jedem
Takt. Fast ununterbrochen, denn manchmal gibt es 3 Takt Pause.
Man kann sich auf etwas gefaßt machen, wenn es wieder einsetzt.
Stille vor dem Sturm versagt, denn die Gewißheit des Einsatzes
kommt taktmäßig, so etwa wie alle 20 Minuten ein Schuß der Großen
Berta auf Paris. Doch die Beine halten Stand. Unaufhörlich, auch
in diesen stillen Pausen bilden sich schnell verschwindende und sich
wieder formende Kegel, große mit ganzen, kleine mit halben Beinen.
Die Kegel wieder, die an sich schon sich dauernd auflösen, glitschen
weiter fort auf den Fußboden. Oben rüttelt der Körper in die Atmos-
phäre hinein, leblos geschüttelt. Kein Zusammenhang zwischen Oben
und Unten, nur im Instinkt und in der Idee.
Weg über den Intellekt völlig ausgeschlossen. Der Intellekt
leitet nicht das Bein, sondern dieses höchstens den Intellekt, wenn er
nicht so völlig ausgeschlossen wäre, daß er selbst die Folgen nicht
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Wilhelm Hausensfein und Wilhelm Worringer haben kürzlich ernst,
kurz und prägnant den Expressionismus erledigt. Diese Erledigung
bezieht sich indessen nur auf den bewußt angebrachten Expressionismus,
stärksten Exponenten modernen Fühlens. Während diese weit vor-
drängenden Pioniere also abgewirtschaftet haben sollen, beginnt jetzt
der Expressionismus als Ganzes in die unbewußte Volksseele ein-
zuziehen und sich hier besonders in den Beinen auszuprägen. Wer
in der „Skala“ in Berlin Shimmi gesehen hat, ist hiervon überzeugt.
Es wird zwar einfach immer hier von dadaistischen Elementen ge-
sprochen, aber Dada kommt garnicht in Betracht, da er alles andere
als eine Kunstrichtung sein will, sondern distinguiert abwartend bei
Seite steht. Shimmizweck war zunächst hygienisch. Zur Dicke neigende
Leute in eleganter Form, nämlich zwischen den einzelnen Gängen
eines Diners abnehmen zu lassen, ihnen wieder Appetit zu machen
und Wurstgliedern schärfere Profile zu geben. Der Amerikaner tanzt
in den großen Hotels ständig in den Essenspausen, wenn er sich
nicht gerade mit dem Kurszettel beschäftigt. Darnach bedeutet Shimmi,
künstlerisch gesprochen, Auflösung der menschlichen Gestalt in unten
geometrische Gebilde, oben Auflösung in atmosphärisches durch
Schüttelbewegung.
Diese Erweckung unbewußter Instinkte, die die Thesen ex-
pressionistischer Pioniere besser bestätigen, als kühnste Konzeptionen
und stärkstes kosmisches Lieber- und Durcheinandergeschiebe mußte
uns von England kommen. Denn nur mit englischem Feuer läßt
sich ein Jazzband treiben, die wiederum nötig ist, damit die unbe-
wußten Instinkte herauskommen. Diese zeigen sich eruptiv bei den
Klängen fabelhaftester Musik mit unerbittlichem Rhythmus,unterschieds-
los bei allen Ständen, beim Ladenschwung, Grafen, haute finance, Juden
und Christen. Nichts ist elementarer als ein achtköpfiges Instrument,
das als Unterlage, Urschlamm, eine große Trommel hat. Hieran sind
angebracht und werden von einem Schöpfer bedient: Triangel,
Schmetterschellen, kleine Trommel, Schnarrinstrument, Kuhglocken,
Holzbretter und ein gardemäßiges Näselinstrument. Beiläufige In-
strumente sind ein Flügel, Violine und Klampfe mit Tamburin und
Schellen. Dies Gesamtgebilde, so heterogen es ist, geht einheitlich
ins Zeug und erschrickt in ununterbrochener Stärke, zweimal in jedem
Takt. Fast ununterbrochen, denn manchmal gibt es 3 Takt Pause.
Man kann sich auf etwas gefaßt machen, wenn es wieder einsetzt.
Stille vor dem Sturm versagt, denn die Gewißheit des Einsatzes
kommt taktmäßig, so etwa wie alle 20 Minuten ein Schuß der Großen
Berta auf Paris. Doch die Beine halten Stand. Unaufhörlich, auch
in diesen stillen Pausen bilden sich schnell verschwindende und sich
wieder formende Kegel, große mit ganzen, kleine mit halben Beinen.
Die Kegel wieder, die an sich schon sich dauernd auflösen, glitschen
weiter fort auf den Fußboden. Oben rüttelt der Körper in die Atmos-
phäre hinein, leblos geschüttelt. Kein Zusammenhang zwischen Oben
und Unten, nur im Instinkt und in der Idee.
Weg über den Intellekt völlig ausgeschlossen. Der Intellekt
leitet nicht das Bein, sondern dieses höchstens den Intellekt, wenn er
nicht so völlig ausgeschlossen wäre, daß er selbst die Folgen nicht
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