ERINNERUNG AN SEEHAUS
Im Jahre 1915 wurden Paul Seehaus und ich Freunde. Natürlich
war es wieder Macke, der uns zusanimenführte. Er war ja in
Bonn der Mittelpunkt der unzünftigen Kunstfreunde, das anerkannte
Haupt einer Gemeinde, die keineswegs auf Lokalpatriotismus ausging,
vielmehr in Köln, im Industriegebiet, in Berlin und vor allem in
Bayern viele Mitglieder zählte. Gemeinde ist fast zuviel gesagt. Es
war mehr ein Geheimbund solcher, denen der übliche ,,Kunstbetrieb“
keine rechte Befriedigung bot. Der im Jahre 1912 bei Piper er-
schienene „Blaue Reiter“ gibt viel von den Stimmungen und An-
schauungen wieder, die in diesem und in verwandten Kreisen herrschte.
Dal? heute beinahe Akademie geworden ist, was damals protestlerisch
und prokiamatorisch ausgesprochen wurde, mindert keineswegs das
Verdienst von Männern, die in jener Kampfperiode des jungen
Expressionismus von allen aufgescheuchten Kunstphilistern, vor allem
denen der Presse, mit ängstlichem oder zornigem Ruf begrüßt wurden.
Einer der häufigsten Gäste in diesem Bonner Kreise war Mackes fast
ehrfürchtig bewunderter älterer Freund Franz Marc.
Damals also, 1913, herrschte in dem trotz der Universität doch
recht provinziellen Bonn ein geradezu lebendiges Kunsttreiben. Es
gab - nur wenige wußten davon - eine wahrhaftige „Künstler-
kolonie“ in dem inzwischen eingemeindeten Bonner Vororte Grau-
Rheindorf, nicht zu verwechseln mit dem durch seine romanische
Doppelkirche hochberühmten Schwarz-Rheindorf auf dem rechten
Rheinufer. Rheindorf war das Eldorado der Studenten und kleinen
Mädchen, die dort Sonntags zum Tanze kamen, ansonsten bewohnt
von einer braven Bevölkerung, die mit Eifer und Erfolg bemüht war,
die Stadt mit Gemüsen und Milch zu versorgen. Man stelle sich vor,
daß in einem dicht am Rhein gelegenen, ziemlich verkommenen,
aber durch Garten und Wiesenland ausgezeichneten Gebäude ein
mutwilliges Künstlervölkchen hauste, das in Schwabing oder Friedenau,
selbst auf dem Montmartre gewissermaßen Ortsfarbe gewesen wäre,
hier jedoch, am breit und gemächlich hinströmenden Niederrhein, wie
ein Capriccio wirkte. Hier in Rheindorf lebten der Schriftsteller
Karl Otten, der jüngst als Mitglied des Aktionskreises den Berlinern
den „Roten Hahn“ aufs Haus setzte, der Münchener Maler Franz
Henseler, dessen reiche Fähigkeiten ein grausames Kriegsschicksal
verschüttete, bevor ihn 1917 der Tod erlöste, der ausgezeichnete
Graphiker und Silhouettenkünstler F. M. Enger! und der liebenswerte
Bonner Chemie-Student F. K., der jenes Haus gemietet und den
Kolonieplan gemeinsam mit Macke ausgeheckt hatte. Fast täglich
kam dieser aus seiner Bonner Klause herüber; ihn lockte die fabel-
hafte Unbekümmertheit und Sorglosigkeit des Rheindorfer Freilicht-
lebens - wenn Macke am Sonntagmorgen, faul und behaglich im
Lehnstuhl liegend, seine Tonpfeife rauchte oder mit Henseler vorüber-
gehende Passanten durch ein improvisiertes Rheinbad erschreckte, so
sind kleine Züge einer vie sur la Campagne aufgezeichnet, die in
allem Wesentlichem doch ernsthaftester, künstlerischer Arbeit galt.
Wie hätte sich sonst auch Paul Seehaus in diesem Kreise wohlfühlen
können, Seehaus, der so gar nichts von Mackes Impulsivität und an-
steckender Lebensfreude besaß, vielmehr Grübelei und melancholischer
Wellflucht ganz unrheinischen Gepräges ausgesetzt war? Aber gerade
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Im Jahre 1915 wurden Paul Seehaus und ich Freunde. Natürlich
war es wieder Macke, der uns zusanimenführte. Er war ja in
Bonn der Mittelpunkt der unzünftigen Kunstfreunde, das anerkannte
Haupt einer Gemeinde, die keineswegs auf Lokalpatriotismus ausging,
vielmehr in Köln, im Industriegebiet, in Berlin und vor allem in
Bayern viele Mitglieder zählte. Gemeinde ist fast zuviel gesagt. Es
war mehr ein Geheimbund solcher, denen der übliche ,,Kunstbetrieb“
keine rechte Befriedigung bot. Der im Jahre 1912 bei Piper er-
schienene „Blaue Reiter“ gibt viel von den Stimmungen und An-
schauungen wieder, die in diesem und in verwandten Kreisen herrschte.
Dal? heute beinahe Akademie geworden ist, was damals protestlerisch
und prokiamatorisch ausgesprochen wurde, mindert keineswegs das
Verdienst von Männern, die in jener Kampfperiode des jungen
Expressionismus von allen aufgescheuchten Kunstphilistern, vor allem
denen der Presse, mit ängstlichem oder zornigem Ruf begrüßt wurden.
Einer der häufigsten Gäste in diesem Bonner Kreise war Mackes fast
ehrfürchtig bewunderter älterer Freund Franz Marc.
Damals also, 1913, herrschte in dem trotz der Universität doch
recht provinziellen Bonn ein geradezu lebendiges Kunsttreiben. Es
gab - nur wenige wußten davon - eine wahrhaftige „Künstler-
kolonie“ in dem inzwischen eingemeindeten Bonner Vororte Grau-
Rheindorf, nicht zu verwechseln mit dem durch seine romanische
Doppelkirche hochberühmten Schwarz-Rheindorf auf dem rechten
Rheinufer. Rheindorf war das Eldorado der Studenten und kleinen
Mädchen, die dort Sonntags zum Tanze kamen, ansonsten bewohnt
von einer braven Bevölkerung, die mit Eifer und Erfolg bemüht war,
die Stadt mit Gemüsen und Milch zu versorgen. Man stelle sich vor,
daß in einem dicht am Rhein gelegenen, ziemlich verkommenen,
aber durch Garten und Wiesenland ausgezeichneten Gebäude ein
mutwilliges Künstlervölkchen hauste, das in Schwabing oder Friedenau,
selbst auf dem Montmartre gewissermaßen Ortsfarbe gewesen wäre,
hier jedoch, am breit und gemächlich hinströmenden Niederrhein, wie
ein Capriccio wirkte. Hier in Rheindorf lebten der Schriftsteller
Karl Otten, der jüngst als Mitglied des Aktionskreises den Berlinern
den „Roten Hahn“ aufs Haus setzte, der Münchener Maler Franz
Henseler, dessen reiche Fähigkeiten ein grausames Kriegsschicksal
verschüttete, bevor ihn 1917 der Tod erlöste, der ausgezeichnete
Graphiker und Silhouettenkünstler F. M. Enger! und der liebenswerte
Bonner Chemie-Student F. K., der jenes Haus gemietet und den
Kolonieplan gemeinsam mit Macke ausgeheckt hatte. Fast täglich
kam dieser aus seiner Bonner Klause herüber; ihn lockte die fabel-
hafte Unbekümmertheit und Sorglosigkeit des Rheindorfer Freilicht-
lebens - wenn Macke am Sonntagmorgen, faul und behaglich im
Lehnstuhl liegend, seine Tonpfeife rauchte oder mit Henseler vorüber-
gehende Passanten durch ein improvisiertes Rheinbad erschreckte, so
sind kleine Züge einer vie sur la Campagne aufgezeichnet, die in
allem Wesentlichem doch ernsthaftester, künstlerischer Arbeit galt.
Wie hätte sich sonst auch Paul Seehaus in diesem Kreise wohlfühlen
können, Seehaus, der so gar nichts von Mackes Impulsivität und an-
steckender Lebensfreude besaß, vielmehr Grübelei und melancholischer
Wellflucht ganz unrheinischen Gepräges ausgesetzt war? Aber gerade
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