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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Karpfen, Otto: Die Geburt des Priesters aus dem Geiste der Psychotherapie
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0075

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Was ihnen vorläufig noch fehlt, ist die zusammenhaltende Gewalt eines Papstes.
Wo viele Leute gescheit sein wollen, da ist immer der eine noch gescheiter als der
andere; so entstehen Nuancen und Parteiungen. Der Analytiker analysiert den
Individualpsychologen, der Individualpsychologe findet den Komplex des Analy>
tikers, und der, hurra, Psychosynthetiker setzt aus beiden einen Homunculus
zusammen. Die alle Prüfungen überstanden haben, werden auf uns losgelassen.
Glücklicherweise wird diesen Verwaltern eines unterweltlichen Sakramentes
schon bei ihrer Gottähnlichkeit bange. Sie beginnen nach der ethischen Legitimation
der Psychotherapie zu fragen. Und wenn Ärzte zu philosophieren beginnen, dann
muß uns um unsere gesunden Glieder bange werden. Aber sehen wir vorerst, wo
die ungesunden Köpfe Anlehnung suchen.
So wenig wie dem Tiefsinn Freuds kann man dem Geist Alfred Adlers seine
Achtung versagen. Aber die Herren Schüler! Es ist eine Psychoanalyse für geistig
Minderbemittelte, die sie verzapfen.
In einem koketten Gegensatz zu den wienerischen Pessimisten um Freud steht
der biedere Schweizer C. G. Jung, dessen rechte Hand ebensoviel an psychof
analytisch^erotischem Optimismus gibt wie seine Linke an Schuldgefühlen hinzutut.
Der bequemste und zugleich der luxuriöseste von den Herren ist Hans Prinzhorn.
An seinen Meister Klages sich anlehnend, macht er durch die Wendung vom Geist
zur Seele denen das Leben leichter, die offensichtlich über mehr Seele als Geist
verfügen und zudem Geld genug haben, um es im Weißen Hirschen verzehren zu
können. Dieser Hans Prinzhorn erhebt am lautesten sein Lamento nach den
ethischen Instanzen der Psychotherapie. Uralte Wasser rauschen auf. Schon
spricht Rudolf Allers von einer christlichen Psychologie. Wir sehen: was man in
Amerika spöttisch eine jewish science nennt, ist dennoch eine christian science,
und ihre Vertreter sind akademisch gebildete Gesundbeter.
Hier haben wir des Pudels Kern. Hinter dem weißen Mantel verbirgt sich ein
Caliban, der unter zerschlissenen romantischen Fahnen gegen die, o pfui, materiale
stische Medizin zu Felde zieht. Ihr verdanken wir ja nur die Narkose, die Asepsis
und das Salvarsan, und nicht die romantischen Wunderheilungen, die Erwin Liek.
preist. Diese materialistische Medizin muß sterben; und es sind gleich zwei, die
nach ihr erben wollen.
Erich Przywara, der ebenso rührige wie intelligente Jesuit, nennt die Individual/
psychologie gern eine Fundamentalpsychologie, die in dem reuigen Individualisten
das Bewußtsein der Sünde erweckt, der Sünde, die die Ursache jeder Neurose ist,
und deren Überwindung den Geheilten in jene große Gemeinschaft zurückführt,
welcher der P. Przywara S. J. näher steht als Herr Dr. Adler.
Krankheit ist Sünde. Das sagen auch einige andere Herren aus durchsichtigen
Gründen. Wenn Krankheit Sünde ist, dann hat der Arzt nicht zu kurieren, sondern
zu strafen. Und da haben wir endlich das göttliche Argument vor uns, mit dem ein
sicherer Dr. Kulenkampff in der „Deutschen Rundschau" die Sozialversicherung
für ein Verbrechen am Volkskörper und mit anderen Worten die Sozialversicherten

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