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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Knox, Ronald Arbuthnott: Psychoanalyse des Struwelpeters
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0498

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Mythe kann höchstwahrschneilich vom Mithras-Kult hergeleitet werden; doch
könnte sie auch auf obskuren Wegen von der klassischen Konzeption der Parze
stammen, welche den Lebensfaden der schicksalsgezeichneten Person durch-
schneidet. Das Resultat war natürlich vorauszusehen. Konrad ist allein gelassen
worden: im selben Augenblick findet der saftige Daumen Aufenthalt in Konrads
Munde. Soweit ist die Handlung lediglich instinktiv und hätte, schlimmstenfalls,
höchstens zu einer Hunger-Hypnose führen können. Aber fast unmittelbar
darauf tritt das „Gewissen", dieses fatale Erbgut fetischistischer Vorfahren,
in Aktion: das Eingreifen des „Schneiders mit der Scheer" wird jeden Moment
erwartet, und unter dem Zwang dieses Impulses stürzt der unglückliche Knabe
zum Nähkörbchen und vollzieht an eigenem Leibe jene Operation, vor der
selbst ein qualifizierter Chirurg zurückschrecken würde. — Wann werden Eltern
zulernen? —
FALL VII. Kaspar . . ., zehn Jahre, wurde mir in einem vorgerückten
Stadium der Abmagerung zugeführt — die Folge eines Erschöpfungs-Komplexes,
welcher die nicht ungewöhnliche Form von Etnophobie angenommen hat. Er
ist seinerzeit, wie man mir berichtet, „kerngesund, ein dicker Bub und kugel-
rund" gewesen, auch zeigt die Tatsache, daß er bis vor kurzem nie die geringste
Schwierigkeit im Essen der Suppe gefunden hat, daß hier keine organische
Unfähigkeit vorliegt (oder lag). Es war ein kalter Wintertag, als sich die Hem-
mung zum erstenmal manifestierte in den Worten: „Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe eß ich nicht!" Hier ist offensichtlich
die Temperatur irgendwie für die Hemmung verantwortlich; wahrscheinlich ist
die extreme Hitze der Suppe als extreme Kälte empfunden worden. Immerhin
muß vermerkt werden, daß der Vater, ein Mann von jokoser Gemütsart, zu
Kaspar öfters gesagt hat: „Na, da wirst du in einer schönen Suppe sein, mein
Junge, wenn du nicht aufmerkst" — oder ähnliches, so daß die Störung vielleicht
unterbewußt bereits von längerer Dauer war. Die Behandlung war jedenfalls
von monströser Stupidität: die Eltern verboten ihm, irgend etwas zu essen,
bevor er nicht die Suppe ausgelöffelt habe. Ich durfte ihnen deswegen nicht
einmal (wie ich gern gewollt) Vorstellungen machen -— • in Furcht, bei
ihnen einen Kindesmord-Komplex zu stärken, der bereits deutlich in Er-
scheinung tritt. Noch ist einige Hoffnung, daß die Symptome lediglich zur
gourmandistischen Perversion gehören, weshalb ich dem Knaben Mittagessen
verordnet habe, die mit
dem Dessert anfangen
und von Speise zu Speise
bis zur Suppe ansteigen.
Sollte der Fall auf diese
Behandlung nicht respon-
dieren, so werden wir
auf Bovril-Injektionen
zurückgreifen müssen,
wiewohl ich gestehe, daß
ich vor solchen Metho-
den zurückschrecke.


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