Hippologie der Denkmäler
Von
Anton Mayer
Allen, die die Absicht haben, reiten zu lernen, sei empfohlen, sich Denkmäler
von Personen zu Pferde anzusehen: sie werden dann am besten begreifen,
wie man sich auf dem Rücken des edlen Tieres nicht zu benehmen hat. Überhaupt
reiten lernen : das ist ebenso unmöglich, wie malen oder komponieren zu lernen, weil
es Sache der Intuition, der schöpferischen Begabung ist. Die Mehrzahl aller
Reiter, die sich spazieren tragen lassen, kann froh sein, wenn sie möglichst wenig
Fehler macht und das Pferd nicht stört — wie es nämlich die steingestalteten Kaiser,
Fürsten und Feldherren zu tun pflegen.
Natürlich, es gibt einige Ausnahmen. Alle altgriechischen Reiterdarstellungen,
die wir besitzen, sind einwandfrei im reiterlichen Sinne: etwa die rennmäßig
galoppierenden, nicht nur kanternden Pferde auf einer Vase des frühen fünften
Jahrhunderts im Berliner Museum, deren Reiter tadellos weich im Pferde sitzen
und vollkommen in der Bewegung mitgehen; oder der archaische Torso auf der
Akropolis in Athen, von dem nur Rücken und Hals des Pferdes, Mittelpositur
und Oberschenkel des Reiters erhalten sind. So müssen die Schenkel liegen, dann
rollen sie nicht beim Galoppieren, wie es häufig zu sehen ist, so muß sich das Gesäß
in den Pferderücken schieben und sich „ansaugen", wie der sehr anschauliche
Ausdruck lautet, dann fliegt der Hinterteil beim Galopp nicht irgendwo in der
Luft herum. Den höchsten, jemals erreichten bildhauerischen Ausdruck absoluter
Reitkunst stellen die Parthenonreliefs dar, die jeder am Pferdesport Interessierte
genau studieren sollte. Es reiten etwa zwei Jünglinge nebeneinander, künstlerisch
in ein Quadrat hineinkomponiert, also den Eindruck größter Geschlossenheitver-
mittelnd. Dem reiterlichen Vorgang liegt folgende, genau beobachtete und wieder-
gegebene Situation zugrunde: der eine sieht sich um, stört sein Pferd mit einer
unwillkürlichen Handbewegung im Maul, worauf das Tier böse wird, den Kopf
hochschlägt und den Rücken wegdrückt. Der sonst sehr gut sitzende junge Herr
macht einen Unachtsamkeits-Fehler, der nicht vorkommen sollte: das Pferd be-
nimmt sich dementsprechend. Der andere reitet ganz konzentriert seinen abge-
kürzten Galopp, mit ruhiger Hand und aufmerksam im Sitz; das Pferd geht
infolgedessen in völlig korrekter Haltung, der letzte Halswirbel steht am höchsten,
der Kopf in der Vertikale - — besonders nach den Begriffen der alten Reit-
instruktion für die Kavallerie ein ideales Bild. Mir persönlich ist die englische,
ganz ungekniebelte Haltung mit freierem Genick lieber, aber wir müssen die
Bauart der Parthenonpferde — einer nordafrikanischen, importierten Rasse mit
schwierigen Hälsen — in Betracht ziehen. Solche Tiere brauchen mehr Haltung,
als das langhälsige, weniger sture, englisch gezogene Pferd. Jedenfalls ist die
reiterliche Logik auf den Parthenondarstellungen mit vollkommenem Gelingen
wiedergegeben — was ebenso für die Qualität der Reiterei wie für die der Plastik
spricht.
Das berühmteste Reiterstandbild ist wahrscheinlich der Marc Aurel auf dem
Kapitolsplat^ in Rom: es ist, reiterlich, eines der schlechtesten. Erstens ist das
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Von
Anton Mayer
Allen, die die Absicht haben, reiten zu lernen, sei empfohlen, sich Denkmäler
von Personen zu Pferde anzusehen: sie werden dann am besten begreifen,
wie man sich auf dem Rücken des edlen Tieres nicht zu benehmen hat. Überhaupt
reiten lernen : das ist ebenso unmöglich, wie malen oder komponieren zu lernen, weil
es Sache der Intuition, der schöpferischen Begabung ist. Die Mehrzahl aller
Reiter, die sich spazieren tragen lassen, kann froh sein, wenn sie möglichst wenig
Fehler macht und das Pferd nicht stört — wie es nämlich die steingestalteten Kaiser,
Fürsten und Feldherren zu tun pflegen.
Natürlich, es gibt einige Ausnahmen. Alle altgriechischen Reiterdarstellungen,
die wir besitzen, sind einwandfrei im reiterlichen Sinne: etwa die rennmäßig
galoppierenden, nicht nur kanternden Pferde auf einer Vase des frühen fünften
Jahrhunderts im Berliner Museum, deren Reiter tadellos weich im Pferde sitzen
und vollkommen in der Bewegung mitgehen; oder der archaische Torso auf der
Akropolis in Athen, von dem nur Rücken und Hals des Pferdes, Mittelpositur
und Oberschenkel des Reiters erhalten sind. So müssen die Schenkel liegen, dann
rollen sie nicht beim Galoppieren, wie es häufig zu sehen ist, so muß sich das Gesäß
in den Pferderücken schieben und sich „ansaugen", wie der sehr anschauliche
Ausdruck lautet, dann fliegt der Hinterteil beim Galopp nicht irgendwo in der
Luft herum. Den höchsten, jemals erreichten bildhauerischen Ausdruck absoluter
Reitkunst stellen die Parthenonreliefs dar, die jeder am Pferdesport Interessierte
genau studieren sollte. Es reiten etwa zwei Jünglinge nebeneinander, künstlerisch
in ein Quadrat hineinkomponiert, also den Eindruck größter Geschlossenheitver-
mittelnd. Dem reiterlichen Vorgang liegt folgende, genau beobachtete und wieder-
gegebene Situation zugrunde: der eine sieht sich um, stört sein Pferd mit einer
unwillkürlichen Handbewegung im Maul, worauf das Tier böse wird, den Kopf
hochschlägt und den Rücken wegdrückt. Der sonst sehr gut sitzende junge Herr
macht einen Unachtsamkeits-Fehler, der nicht vorkommen sollte: das Pferd be-
nimmt sich dementsprechend. Der andere reitet ganz konzentriert seinen abge-
kürzten Galopp, mit ruhiger Hand und aufmerksam im Sitz; das Pferd geht
infolgedessen in völlig korrekter Haltung, der letzte Halswirbel steht am höchsten,
der Kopf in der Vertikale - — besonders nach den Begriffen der alten Reit-
instruktion für die Kavallerie ein ideales Bild. Mir persönlich ist die englische,
ganz ungekniebelte Haltung mit freierem Genick lieber, aber wir müssen die
Bauart der Parthenonpferde — einer nordafrikanischen, importierten Rasse mit
schwierigen Hälsen — in Betracht ziehen. Solche Tiere brauchen mehr Haltung,
als das langhälsige, weniger sture, englisch gezogene Pferd. Jedenfalls ist die
reiterliche Logik auf den Parthenondarstellungen mit vollkommenem Gelingen
wiedergegeben — was ebenso für die Qualität der Reiterei wie für die der Plastik
spricht.
Das berühmteste Reiterstandbild ist wahrscheinlich der Marc Aurel auf dem
Kapitolsplat^ in Rom: es ist, reiterlich, eines der schlechtesten. Erstens ist das
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