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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Aldanov, Mark A.: De Valera
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0906

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erinnert zu haben. Wie dem auch sei, wir sehen, daß in einem friedlichen Lehrer
der Mathematik ein grausamer Revolutionsführer stecken kann.
Seinem Äußeren nach ist de Valera ein hoher, schmächtiger, ungelenker Mensch
mit einem müden Gesicht östlichen Typs. Seinem Charakter nach ist er sehr ver-
schlossen, eigensinnig und düster. Ihm nahestehende Freunde versuchten sich zu
erinnern, ob er sich jemals im Leben einen Scherz erlaubt habe. Es stellte sich
heraus, daß niemand sich rühmen konnte, je einen Scherz von ihm gehört zu haben.
Anscheinend ist de Valera sehr ehrgeizig. Er gehört zu den Staatsmännern, die
es vorziehen, anstatt „Wir" oder „Unsere Partei" oder „Unsere großartige Bewe-
gung" der Kürze wegen einfach „Ich" zu sagen. Eine Methode, die zwar nicht fehler-
los richtig, aber auch durchaus nicht hoffnungslos ist: es empfiehlt sich, die näher
anzusehen, die sich ihrer bedienen. Zu Beginn lachen die Menschen, später aber
hört das Lachen auf.
Bis zu seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr war de Valera in seiner Heimat
ziemlich unbekannt. Die Sinnfein-(„Wir selbst" -)Bewegung wurde von anderen ge-
schaffen. Ihr Hauptschöpfer war der Journalist Griffith, Führer der Partei und
später Haupt der irischen Regierung. Auch er war ein durchaus uneigennütziger
Mensch. Das Schicksal bereitete ihm (besonders als irischem Politiker) ein glück-
liches Ende: in einer Zeit, als der Bürgerkrieg mit besonderer Schärfe tobte, starb
Griffith mitten in der Arbeit an einem Herzschlag. In seiner Tasche fand man
zwei Pence — und weiter nichts, weder in der Brieftasche, noch in den Schubfächern,
noch auf der Bank. Das ist die ganze Erbschaft, die das Haupt der irischen Regie-
rung, der Begründer einer großen Partei seiner Frau und seinen Kindern hinterließ.
Man sieht sofort, daß wir uns nicht in Europa befinden. Wir sind in Irland.
* *
¥
Nach dem Zusammenbruch des Dubliner Aufstandes von 1916 — der von zag-
haft gewordenen Revolutionären durch ein Zeitungsinserat abgesagt wurde! —
wurde de Valera festgenommen, nach England übergeführt und eingesperrt, —
die Todesstrafe wurde in eine lebenslängliche Gefängnisstrafe umgewandelt. In
Wirklichkeit blieb er nur kurze Zeit im Gefängnis. Eigentlich war es die Gefängnis-
zeit, die den Beginn der glänzenden politischen Laufbahn de Valeras einleitete. Zu
jener Zeit war er noch wenig bekannt. Zufällig wählten ihn seine Gefängniskameraden
zum Stubenältesten; es gab nicht viele Bewerber für diese Stellung. Im Verkehr
mit der Gefängnisverwaltung zeigte de Valera große Standhaftigkeit, — das schuf
ihm eine große Popularität. Die Gefängnisverwaltung war nicht sehr streng; die
Verbindung mit der Freiheit wurde ständig unterhalten. Der Name de Valeras
tauchte jetzt in der Presse auf.
Es erübrigt sich zu erwähnen, daß man sich in Irland außerordentlich für die
Opfer des Dubliner Aufstandes interessierte. Unter den sechzehn Hingerichteten
waren sehr angesehene Männer. Selbst in England erfolgte eine Reaktion gegen die
Urteile von 1916. Viele Engländer fühlten, daß die Sache mit Irland nicht ganz in
Ordnung sei: der Weltkrieg wurde ja, wie bekannt, für das Recht der unterdrückten
Völker geführt. Außerdem entfesselte die Hinrichtung des tollkühnen Sir Roger
Casement und seiner Gefährten eine große Erregung in Amerika, wo die Irländer
keinen geringen Einfluß haben. Wilson selbst war irischer Abstammung, und um
1916 war es nicht zweckmäßig, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu ver-
stimmen.
Gegen Ende des Jahres wurde Asquith von Lloyd George abgelöst. Die neue eng-
lische Regierung gewährte eine Amnestie den Teilnehmern des Dubliner Aufstandes.
Für die gleichen Handlungen, für die ihre Kameraden mit dem Tode bestraft wurden,

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