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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Die letzten Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0963

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Hermann Landshoff
— Was Du uns da erzählst, ist doch der reine Stiefel!
— Bitte, das ist ja die Form von Italien.

. Susanne war noch nicht gestorben, denn einer mußte der letzte sein, und
das war eben ihr Fall. Ihr Leben war während der ganzen Katastrophe unverändert
weitergegangen. Abends hatte sie in ihrem gewöhnlichen Kabarett getanzt und
getrunken und war fast immer in Gesellschaft eines Herrn nach Hause gekommen,
der von Abend zu Abend wechselte und ihr am nächsten Morgen beim Abschied
fünfzig Franken — oder auch weniger — auf die Kommode legte.
Sie las keine Zeitungen und stand nur auf, um in ihr Kabarett zu gehen.
Das war ihre Welt, und sie endete an der Tür, die zu den Küchenräumen führte.
In der letzten Nacht waren sie nur sechs oder sieben gewesen; der Besitzer fehlte
und zwei oder drei Stammgäste. Susanne hatte es nichts ausgemacht, daß sie
allein nach Hause kam, denn sie wollte am nächsten Tag früh aufstehen und sich
ein Paar Schuhe kaufen.
Der Wecker surrte fort, als wollte er vom Boden aufsteigen. Das ermunterte
Susannen endlich ganz. Sie sah sich um, ob jemand neben ihr liege, und stand
dann auf. Erwägend, daß sie heute zum erstenmal so früh ausging und durch
Straßen und Läden bummeln werde, machte sie sorgfältig Toilette. Sie wählte
ihre besten Strümpfe und verbrachte eine gute Stunde vor dem Spiegel mit der
Herrichtung ihres Gesichts.
Susanne trat auf die Straße. „Es ist ja wie Sonntag", dachte sie, als ihr die
Stille entgegenschlug. Sie ging weiter, ohne daß ihr die Katastrophe zum Bewußt-
sein kam. An den Straßenkreuzungen blickte sie nach rechts und links. Sie

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