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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Kaus, Gina: Über die Beziehung Geschiedener
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1062

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steht, die Kinder müssen darunter leiden: dann werden sie auch darunter leiden,
das läßt sich ohne besondere Mühe arrangieren, und Schuld hat dann natürlich der
andere. Ein Kind braucht bloß ein einziges Mal zu hören, daß es in einer benach-
teiligten Ausnahmesituation aufwächst, und es hat eine Generalentmutigung fürs
Leben und eine Generalausrede für jedes Versagen.
Nicht die Scheidung gefährdet die Entwicklung der Kinder, sondern der innerlich
nicht beendete Kampf zwischen den Eltern, und daß diese sich — oft ohne es zu
wissen — der Kinder als Kampfmittel bedienen. Das fängt an mit dem Werben
der Eltern um die Liebe der Kinder, in dem unklaren Bestreben, sich vor ihnen
zu rechtfertigen, als der Bessere zu erweisen und seinerzeit von ihnen recht zu be-
kommen. Bleibt es bei einem Wettkampf des Verwöhnens und Verzärtelns, so ist
das schlimm genug — ganz schlimm aber wird es, wenn, offen oder versteckt, der
eine den andern in den Augen der Kinder herabzusetzen sucht. Dazu gehört auch
der sinnlose Kampf gegen verhaßte Ähnlichkeiten: „Ganz wie dein Vater!" oder
„Das hast du von deiner Mutter !" — wodurch die Kinder nicht bloß an den Eltern,
sondern auch an sich selbst unsicher werden. Es ist ein grausiges Phänomen, daß
Ehegatten oft noch Jahrzehnte nach der Scheidung durch jede Lebensäußerung des
andern gereizt werden; da wecken die harmlosesten Erzählungen der Kinder unbe-
herrschte Bemerkungen, die Kinder werden zu Zwischenträgern solcher Bemer-
kungen, sowie der unausbleiblichen Gegenangriffe usw. ... sie kommen sich sehr
wichtig vor dabei, sie spielen eine Rolle, von der sie noch gar nicht wissen können,
daß es eine sehr häßliche Rolle ist.
Ein häufiger Sonderfall dieses dauernden Ärgers am andern ist die Mißbilligung
jeder neuen erotischen Bindung, der legitimen wie der illegitimen. Wiederum dienen
die Kinder zum Vorwand: Heiratet die Frau ein zweites Mal, so ist der Vater nur
selten imstande, vernünftig zu erwägen, ob seine Kinder nicht großen Vorteil davon
haben, meist ist er instinktiv dagegen, ein schlechter Einfluß scheint ihm gewiß, und
den Gegenbeweis erschwert er, indem er es den Kindern gegenüber so darstellt,
als verletze die Frau damit ihre Mutterpflichten: er weckt in ihnen jene eifersüchtige
Animosität, die er selbst empfindet — um der Kinder willen, deren Liebe er an den
neuen Vater zu verlieren fürchtet, oder um der Frau willen, die er in tiefster Seele zum
ewigen Zölibat verurteilt hat, das kommt auf den einzelnen Fall an und der ist meist
kompliziert. Und welches Entsetzen, wenn die Frau erfährt, die Kinder hätten in
Gesellschaft des Vaters eine Dame kennengelernt, die in zarten Beziehungen zu
ihm steht — welche sittliche Entrüstung, als wären die Gemüter der Kinder dadurch
für immer vergiftet, während die Kinder an der neuen „Tante", die wahrscheinlich
sehr nett zu ihnen war, gar nichts Auffallendes bemerkt haben. Aber man braucht
ihnen nur zu sagen, daß ihnen dort ein bitteres Unrecht geschehen ist und daß eine
Gefahr für die Liebe des Vaters besteht, und sie verstehen zwar nichts davon, aber
sie empfinden, was man von ihnen verlangt: Eifersucht.
Zerstört ist schnell. Eifersucht, Mißtrauen, Selbstmitleid, und was sonst noch
nötig ist, um eine gesunde Entwicklung zu hemmen, sind bald geweckt. Dem Außen-
stehenden scheint es ohne besondere Mühe und Opfer vermeidbar. Wenn die täg-
lichen Reibungsflächen des Zusammenlebens wegfallen und der Verzicht auf die
eigenen Glücksmöglichkeiten — ist es da so schwer, sich in einer menschlichen
Form mit der Existenz des andern abzufinden: mit ein bißchen Wohlwollen und
beiderseitiger Nachsicht? Ist es so schwer, vor den Kindern die Linie einzuhalten:
„Wir haben nicht recht zusammen gepaßt, wir haben es beide nicht verstanden,
miteinander auszukommen, aber wir achten einander ?"
Es ist schwer — schwer, wie alles, wozu zwei gehören, die nicht eins sind.

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