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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Wolfenstein, Alfred: Die Taten der Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1166

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er bewahrheitete sein unliterarisches Helfertum an den niedergetretenen Gras-
halmen, den verwundeten Männern. Sie schrien ihm nach, als ein Echo, das seine
Gedichte beim Volk erst später fanden: Walt, Walt, wiederkommen! Diese
Tätigkeit eines glühenden, wie seine Verse sich weitenden Herzens war doch
nicht romantisch wie die der anderen Poeten, auch des Kriegsfliegers d'Annun^o.
Machte Gabriele d'Amunzios militärische Tätigkeit in den Lüften ihn weiter hin
sichtbar als die schöne Schilderung des friedlichen, aufwärtsdonnernden Fliegens
in seinem Epos „Forse ehe si, forse ehe no"? Vielleicht, vielleicht auch nicht.
IV
Wir sind immerhin seit Cervantes der Wirklichkeit näher gekommen. Der
Schriftsteller ist immer mehr Schriftsteller geworden, auch wenn er nach der
bekannten feinen Unterscheidung ein Dichter ist. Er hat festgestellt, daß er nicht
nur eine Berufung, sondern auch einen Beruf hat, ja er hat daneben oft eine andere
Beschäftigung, die ihn ins werktätige Dasein einordnet. Diejenigen, die bei ihrer
eigentlichen Begabung bleiben, werden von einer Zeit der allgemeinen Werk-
tätigkeit ganz unwillkürlich zur Tätigkeit durch das Werk gedrängt. Sie üben
ihre Sendung beruflicher aus, Schrift und Tat fallen zusammen, der Schriftsteller
greift in die Zeit ein, zur Änderung der Welt. Diese Wandlung zeichnet sich deut-
licher bei jenen Engländern des siebzehnten Jahrhunderts ab, bei Swift und bei
Defoe, der nicht nur der Dichter des Robinson, sondern ein verwegener Pamphle-
tist war. In seinen Flugschriften schlug er beunruhigende Neueinrichtungen
vor, von den Sparbanken bis zu höheren Mädchenschulen. Er schrieb gegen die
„kurze Art, mit Andersgläubigen fertig zu werden", und wurde für seine
Lobpreisung der Duldsamkeit mit dem Pranger bestraft, vom Volke allerdings
am Schandpfahl bejubelt und bekränzt, mit den schönsten Blumen, die ein
Dichter erhalten kann.
Der Schriftsteller im Zeitalter der Aufklärung kümmerte sich besonders gern
um Fälle dumpfer Ungerechtigkeit. Nicht Journalisten, große Schriftsteller ge-
brauchten die Waffe des Wortes gegen schnöde Geschehnisse des Tages. Voltaire
war der Mittelpunkt eines Europa überwachenden Hilfsbundes, man wandte sich
an ihn, sobald Verfolgte und Elende zu schützen waren. Daß er in hartnäckigen
Bemühungen den Justizmord an Jean Calas, die Unschuld des wegen Ermordung
seines Sohnes geräderten Kaufmanns aus Toulouse aufdeckte, dies ergänzt die
Masse seiner zweiundneunzig gesammelten Bände durch eine bis heute fort-
wirkende Tat gegen die Todesstrafe. Wenn Zola hundert Jahre später, aber immer
noch nicht im Zeitalter der Aufgeklärtheit, die Welt von der Lüge des Dreyfus-
Prozesses reinigte, so gießt sein heldenhaftes Auftreten vor Gericht, sein „Ich
klage an!" in der „Aurore" die Frische einer Morgenröte über den Erfinder des
Experimentalromans. Verurteilung, Verbannung, Verfolgung finden sich be-
sonders gern gegen jenen zusammen, der die beiden Kampfmittel Wort und Tat
in sich vereinigt.
V
Es sind zumeist die Schwärmer, die außerhalb ihres Schaffens noch zu verwand-
tem Tun neigen, während die anderen für den realen Einfluß des Wortes schwär-
men. Neben der Feder — durch die Feder — und statt der Feder — : dieses letzte

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