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Rave, Paul Ortwin
Der Emporenbau in romanischer und frühgotischer Zeit — Forschungen zur Formgeschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 8: Bonn, Leipzig: Schroeder, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.67101#0197
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höhter Abstufung. Die Abstände der Emporengesimse von den Erd-
geschoßöffnungen sind immer schmal, aber dennoch bleibt bei der
Neußer wie Werdener Kirche der Eindruck einer durchbrochenen
Wandfläche stark. Das kommt daher, weil Emporenpfeiler ohne
Kämpfer mit der darüber liegenden Wand eins sind und nicht als
vierseitig begrenzte Körper .empfunden werden, zumal wenn die
Wände sehr hoch sind wie zu Neuß oder die Stützen sehr breit wie zu
Werden. Nur die Roermonder Kirche hat die ganze Wand durch
Dienste, Vorlagen, Rahmenblenden und andere Mittel energisch ge-
gliedert (Abb. 83, 86, 89).
Daß diese tiefenschichtige Gliederungsart der Hoch wände im Verein
r.-i^ Emporen, wie sie U. L. Frau zu Roermond entwickelt hat, am
Jj^ein keine Fortsetzung zeitigte, sondern die Werdener Kirche nach
einigen Jahrzehnten auf das lahme Muster der Neußer Kirche als
Vorbild zurückgriff, bezeichnet die Situation: Die niederrheinische
Baukunst vermochte nicht die Folgerungen zu ziehen, die eine Bau-
form wie die der Empore nahelegte: die seitliche Tiefengliederung der
Hochwände folgerecht weiterzuentwickeln und so zum einheitlichen
Raumbild zu gelangen. Sondern sie verharrte noch in der von je ge-
übten flächigen Hochwandgestaltung mit romanischen Einzelformen,
als schon Welle auf Welle aus dem Westen Deutschland mit den
Formen einer neuen Bauwelt überschwemmt hatte. Neun Jahre nach
der Grundsteinlegung des Kölner Domes, der in den Stamm der hei-
mischen Entwicklung wie ein Fremdkörper traf und zweifellos nicht
nur für die konservativen Kreise eine Überraschung war, konnte noch
eine Anlage begonnen werden, in der völlig ein romanischer Grundzug
waltete, „und zwanzig Jahre ging der Bau fort, ohne aus seiner roma-
nischen Grundstimmung herauszufallen“ (Effmann, a. a. O. S. 391).
Der niederrheinische Emporenbau, der so völlig seinen eigenen Weg
geht, hat also unmittelbar ebensowenig zur Aufnahme der Gotik bei-
getragen, wie jede andere Bauform des Übergangsstiles, wenn er auch
wie der Laufgang oder die Gewölberippe die innere Bereitschaft ge-
stärkt hat. Da aber die Gotik als fertig ausgebildeter Stil schließlich
in Deutschland zur Herrschaft gelangte zu einer Zeit, als der Emporen-
bau in Frankreich, der Heimat der Empore und der Gotik, schon zu
Ende entwickelt war und zur Raumgestaltung nicht mehr verwandt
wurde, kennt die vollendete Stufe der Aneignung gotischer Bauformen
in Deutschland keine Emporen. Denselben Vorgang wie in der Lom-
bardei sehen wir hier wiederholt: ein Jahrhundert lang lebt sich das

9 Bave, Der romanische Emporenbau.

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