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Rave, Paul Ortwin; Watteau, Antoine [Ill.]
Antoine Watteau - Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 24: Stuttgart: Reclam-Verlag, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.62593#0041
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ZUR CHARAKTERISTIK WATTEAUS
UND SEINER KUNST
Aus: Edmonde-Frangois Gersaint, Bemerkungen über Watteau.
Enthalten in dem Catalogue raisonne des diverses curiosites du
cabinet du feu M. Louis Quentin de Lorangere, Paris, 2. März
1744, S. 170; wiederholt abgedruckt, zuletzt in dem abschlie-
ßenden Werk über Watteau von Helene Adhemar, Paris 1950,
S. 169 ff.
Watteau war von mittlerem Wuchs und schwächlichem
Körper. Er hatte einen unsteten und veränderlichen Sinn,
einen starken Eigenwillen, einen zügellosen Geist, aber
tadellose Sitten. Er war unruhig, schüchtern, kühl und
schwer zugänglich, Fremden gegenüber schweigsam und
zurückhaltend, ein treuer aber schwieriger Freund, men-
schenscheu, als Kritiker scharf, sogar boshaft, stets mit
sich und anderen unzufrieden, und er verzieh nicht
leicht. Er sprach wenig, aber gut, und las sehr gern; dies
war das einzige Vergnügen, das er sich in der Muße
gönnte. Obwohl ohne wissenschaftliche Bildung, hatte er
ein gesundes Urteil über ein geistreiches Werk. Das ist,
soweit ich es aufnehmen konnte, sein Bildnis nach der
Natur. Kein Zweifel, daß seine dauernde Bindung an
die Arbeit, seine empfindliche Wesensart und die Leiden,
von denen sein Dasein durchsetzt war, eine gute Laune
hintanhielten und auch den Mangel an Geselligkeit be-
wirkten, der seinem Leben eigentümlich war.
Im Hinblick auf sein Werk wäre zu wünschen ge-
wesen, daß seine ersten Arbeiten dem geschichtlichen
Sittenbild gegolten hätten. Würde sein Leben länger ge-
dauert haben, so darf man behaupten, daß er einer der
größten Maler Frankreichs geworden wäre. Seine Bilder
leiden etwas unter der Unruhe und Unbeständigkeit, die
in seiner Wesensart lagen. Ein Gegenstand, den er eine
Zeitlang vor sich sah, langweilte ihn, und er strebte im-
mer von einer Darstellung zur anderen. Bisweilen be-
gann er einen Auftrag und war seiner müde, wenn er ihn
zur Hälfte vollendet hatte. Um von einer begonnenen
Arbeit, die fertig werden mußte, schneller loszukom-

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