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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Lehrs, Max: Ueber die Passion des Meisters E. S.
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0184

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154

Max Lehrs:

Pilatus erkennt man unschwer die Prinzessin Cleodolinde wieder. Für die
Frühzeit des Meisters sind ferner characteristisch die unverhältnissmässig grossen
etwas oblongen Nimben, die stereotype Kopfneigung nach der linken oder
rechten Schulter, welche auf allen 12 Blättern der Passion auffällt, die finger-
artig langen Zehen und stark eingezogenen Hüften.
Mit der Zuweisung der Passion an den Meister E S wird übrigens
eine Lücke in seinem Werk gefüllt, welche in der Geschichte des älteren
Kupferstiches billig befremden musste. Während alle irgendwie bedeutenden
Stecher: die Meister von 1446 und 1457, der Meister der Liebesgärten und
der mit den Bandrollen, Schongauer, Meckenen, die Monogrammisten A G und
I A ihre Erfindungsgabe an den Darstellungen des Leidens Christi erprobt, die
geringeren wie ES, W/5.H, IG oder W wenigstens die Passionen ihrer Vor-
gänger copirt hatten, sollte allein der Meister E S, der erfindungsreichste und
vielseitigste von allen, dies beliebte Thema nie behandelt haben als in zwei
oder drei Darstellungen des Gekreuzigten? Er, der den ganzen Inhalt der Bibel
vom Sündenfall und Salomo-Urtheil angefangen bis zum Johannes auf Pathmos
illustrirt, die Madonna in mehr als dreissig Variationen verherrlicht, zwei
Evangelisten- und sechs Apostelfolgen gestochen hatte, von der Zahl der
Heiligenbildchen, der Darstellungen aus dem profanen Leben, den Kartenspielen
und dem Figurenalphabet ganz zu geschweigen! — Wie gesagt, diese Lücke
in seinem Werk wäre geradezu unbegreiflich.
Einen weiteren Beleg für die Urheberschaft des Meisters E S bieten
endlich noch die von mehreren Blättern erhaltenen Gopien, unter denen einige,
z. B. der Oelberg P. II. 83. 4. in München, von einem Anonymus herrühren,
der — wahrscheinlich in der Werkstatt des E S als Geselle thätig — aus-
schliesslich die Stiche seines Meisters copirt zu haben scheint, und dessen Hand
man in zahllosen Gopien schon äusserlich leicht an dem bräunlichen Druckton
wiedererkennt. — Aber auch die übrigen Gopien in Kupferstich, Holzschnitt
und selbst Teigdruck* * * 4) oder Niello5), welche sich sämmtlich durch ihre
Inferiorität von den Originalen unterscheiden, bezeugen, dass Letztere von
einem berühmten Meister in seiner Kunst, und nicht nur von einem Schüler

Eine Teigdruck-Gopie nach Bl. 5 der Passion (Dornenkrönung) findet sich im
Vorderdeckel eines gedruckten handschriftlich von 1492 datirten Bamberger Bre-
viariums in der K. öffentl. Bibliothek zu Dresden (Liturg. 436 ). Der Druck ist braun
auf schwarzem Grunde mit Spuren von Gold in den Schratfirungen. Die Thatsache,
dass es eine Gopie nach dem Meister E S sei, scheint mir von Wichtigkeit für die
Datirung dieser bekanntlich ungemein seltenen Druckart.
5) Zwei Niello-Gopien nach Bl. 4 und 11 (Geisselung und Auferstehung) be-
finden sich an einem Hausaltärchen in Salzburg, dessen Mittelbild und Flügel aus
5 gravirten Platten bestehen. Alle 5 Darstellungen sind gegenseitige Gopien nach
gleichzeitigen Stichen, und zwar enthält das Mittelbild ein Abendmahl nach dem
Stich des Meisters I A von Zwolle B. 2, der linke Flügel Verrath und Geisselung
nach Schongauers Passion, der rechte Dornenkrönung und Auferstehung nach der
des Meisters E S (vergl, die Abbildung in den Mittheil, der Central-Commission
Bd. XVIII. nach p. 314, welcher Abdrücke von den Originalplatten zu Grunde liegen).
 
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