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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Dahlke, Gotthilf: Romanische Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0188

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158

G. Dahlke:

Streben nach wirkungsvollem Wechsel der Faltenbrüche bemerkbar hervor.
Der röthlichbraune, über beide Schultern gelegte Mantel wird von der linken
Seite vor den Leib gezogen, mit dem rechten Arm an die Hüfte gepresst, ist
oben umgebogen und fällt in malerischen Windungen über die grüne, parallel
gefaltete, unten leicht verschobene Tunica herab, indess die engen Vorderärmel
dem Unterkleide angehören. Perlen säumen den Nimbus und die Tunica,
kleinere Perlen sind — je drei und drei zusammengeschoben — der Mantel-
kante spitzenartig angeheftet.
Zur Linken hält die schlanke, sanft gebogene Gestalt des Engels Scepter
und Kugel in den schmalen Händen und richtet die grossen Sterne nach dem
ersten Menschenpaar. Das jugendliche Gesicht erhält durch den scharfen Blick
der schwach umschatteten Augen und die gerade Linie der schmalen, schein-
bar flügellosen Nase wieder einen starren Zug, den das festbegrenzte, weich
modellirte Oval der Wangen und der feine Schnitt des Mundes nur zum Theil
verwischen. Dagegen hat die Kleiderhülle den Anstrich grosser Zierlichkeit,
indem die gelbe, vor der Brust in zwei senkrechte Falten gelegte Gürteltunica
die elastischen Glieder mehr hervorhebt als verhüllt und der röthlichbraune
Stoff des Mantels von dem vorgestreckten rechten Arm in weichen Bögen
niederfällt, an der linken Seite wie im Winde flattert, und kräftig gezeichnete
Banken und Blätter die Aermel, wie den Rand der Tunica durchwirken. Zur
Rechten steigt Eva aus der Seite des Mannes an das Licht, hebt flehend die
Arme und heftet das Auge auf die Erscheinung des geflügelten Boten, indess
ein Anflug von Befremden in der ernsten Miene sich malt. Adam hat das
Haupt auf einem Felsensockel mit der Rechten gestützt und die Linke über
die Schenkel gelegt. Die nackten Körperformen sind nicht ohne Kenntniss der
naturgemässen Gliederung entworfen, doch ist der rechte Unterarm des Weibes
verkümmert, der des Mannes knorpelartig gebogen, Adams Kniegelenk holzartig
steif, der Brustkorb von der Höhlung des Leibes durch eine scharfe Linie ge-
trennt. Während Eva’s Kopf in der niedrigen Stirn, den rundlichen Wangen,
der vorstehenden Oberlippe von der Physiognomie des Engels sich nur wenig
unterscheidet, erscheint des Mannes Antlitz in den schmalen, schiefgestellten
Augen und den hageren Wangen von schärferem Schnitt, in der traumhaften
Ruhe von täuschender Natürlichkeit. Jedem Zwickel entspriesst ein niedriger
Baum, der an der Spitze blätterloser Aeste in symmetrischer Vertheilung, zur
Rechten grosse Aepfel, gegenüber, unterhalb des Engels, lilienförmige Blätter
trägt. Specht- und sperberartige Vögel, ein Adler und ein Reiher, dessen
gekrümmter Schnabel eine Schlange hält, beleben Stamm und Wipfel, Thiere
und Pflanzen von primitiver Form.
Auf dem südlichen Felde bezeichnet eine offene, von pfeilerartigen Säulen
mit attischer Basis und Blättercapitell getragene Bogenhalle das irdische Paradies.
Zu beiden Seiten eines Baumes, dessen frucht- und blätterreiche Krone die
Wölbung des mittleren Bogens füllt, stehen Adam und Eva, jeder mit einem
Apfel in der erhobenen Linken, einander gegenüber; um den Stamm ringelt
sich die grüngeschuppte Schlange und hält in dem aufgesperrten Rachen einen
Apfel dem Weibe entgegen, das mit dem rechten Oberarm an die Säule sich
 
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