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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Dahlke, Gotthilf: Romanische Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0191

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Romanische Wandmalereien in Tirol.

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füllen das Presbyterium, an dessen Wänden ein glatter Linienfries die unteren
viereckigen und die oberen Bogenfelder begrenzt: die Decke trägt den stolzen
Bau des himmlischen Jerusalem und des Erlösers Bildniss auf dem Thron.
Wenn dieser Bilderkreis den religiösen Fortschritt des Menschengeschlechtes
zur Anschauung bringt, indem Melchisedek, Moses und Aaron die Gottesidee
des israelitischen Volks versinnlichen, die Propheten auf den Uebergang zum
neuen Bunde weisen, Bekenner und Märtyrer des wahren Glaubens den Sieg
des Ghristenthums auf der Erde bezeugen, so scheinen die gleichartigen Parallel-
bilder auch eine, obwohl nicht immer erkennbare, Verwandschaft der geistigen
Richtung anzudeuten und die Symmetrie der statuarischen Gestalten bezeichnet
zu dem Rhythmus der Gruppirung in den untern Deckengemälden einen nicht
unwirksamen Gegensatz.
Vor allem an der fensterlosen Ostwand, die in den Heroen des Juden-
thums der feierlichen Majestät des mosaischen Cultus einen ergreifenden Aus-
druck gibt. In der Mitte des Bogens, aufgerichtet, ernst und würdevoll, Mel-
chisedek, dessen Silberhaar ein Turban mit niedriger Zackenkrone umflicht, —
in den umschatteten Augen, der hohen Stirn, den abgezehrten Wangen, der
geraden, tief herabgezogenen Nase und dem langen weissen Bart, wie in der
reichen Kleiderhülle das Abbild einer ehrfurchtweckenden , durch die Schau-
brote in der verhüllten Linken und eine schöngeformte Henkelkanne, mit den
Symbolen des Priesteramtes ausgestatteten Persönlichkeit. Von den Patriarchen
und Propheten — Moses und Jesaias zu seiner Rechten, Aaron und Jeremias
zur Linken —, die sich in Tracht und Haltung wenig von dem Priesterkönig
unterscheiden, ist Moses durch das Kreuz des Nimbus und den tief herabge-
zogenen Bart, Jesaias durch die Stola hervorgehoben. Jeder lässt das aufge-
rollte Spruchband tafelartig niederhängen und hält die andere Hand erhoben
oder an die Brust gedrückt; alle stimmen in dem Schnitt der hagern Wangen
und dem starren Blick der eingesenkten Augen, in der geraden Linie der
schmalen Nase und dem ernsten Zug des Mundes, in der reichen Gewandung
und statuarischen Haltung überein. So enthüllen die Greisenköpfe in dem
ahnungsvollen Blick des Sehers geistige Vertiefung in das Wort Jehova’s und
in die Geheimnisse künftiger Zeit; so trägt jede der hochaufgerichteten Ge-
stalten den Charakter feierlicher Abgeschlossenheit. Feinzertheiltes Pflanzen-
werk und Blattgewächse versinnlichen den landschaftlichen Hintergrund.
Gleiche Kraft und Wahrheit des Empfindungsiebens durchdringt die
Köpfe der Propheten Zacharias und Ezechiel auf dem nördlichen, Daniel und
Malachias auf dem südlichen Bogenfelde, zwischen denen hier wie dort ein
neueingeschnittenes Rundbogenfenster die Mauer durchbricht: auch ihre hageren
Gesichter mit den dunklen, in die Weite schauenden Augen werden von dem
Widerschein alttestamentarischen Geistes verklärt.
Vielleicht noch strenger ist das Gleichmaass der Gruppirung in den un-
tern Reihen durchgeführt, wo jedes Brustbild in besonderem Rahmen, jeder
Kopf in voller Vorderansicht, jeder Heilige durch gleichartige Tracht und
gleiche Haltung der Hände das Gesetz der Regelmässigkeit zum Ausdruck
bringt. Nur im Osten durchbricht Georgius — dem der Altar des Chores
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