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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Dahlke, Gotthilf: Romanische Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0196

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166

G. Dahlke:

und die elastischen Glieder in harmonischer Verbindung von Freiheit und
Kraft erscheinen liess.
Das Viereck des massiven, grün, braun, gelb und roth gestrichenen, mit
Perlen und Steinen besetzten Mauerwerkes von Jerusalem hat durch die Wölbung
der Decke leichte Verschiebungen erfahren; die Thürme lassen viereckige und
Rundbogenfenster, gerade Linien und Bogenwindungen von Perlen, als Gliede-
rung und Zierrath unterscheiden. — Die Aussenseite des Frontbogens bekränzt
ein Fries von Pflanzenornament, das in feinen durchflochtenen Ranken und
kräftig gefärbten Blättern vor der Uebermalung die Sorgfalt der Linienführung
und den Farbensinn des alten Meisters ahnen liess. Wie die Ghoranlage mit
dem Vorbau der Ambonen über der offenen Krypta in Tirol kein Gegenstück
findet und wohl einem italienischen Architekten zugeschrieben werden darf,
steht auch die Ansicht des himmlischen Jerusalem mit den symbolischen Fi-
guren der Elemente in dem Alpenlande einzig da und zeigt die Spuren einer
wohlgeübten, mit den Formen der Antike vertrauten Künstlerhand.
Ohne die Zweckmässigkeit der erfolgten Restaurirung oder die Aende-
rungen zur Wahrung der Sittlichkeit zu bestreiten, wird jeder wahre Freund
von mittelalterlichen Kunstdenkmalen doch die Wiederherstellung des Bilder-
kreises beklagen, bevor ein Künstler die verblassten Malereien in ihrem origi-
nalen Gepräge nachzubilden vermochte. Unwillkürlich muss man fragen, wie
viele Werke aus der romanischen Periode in ihrem alten Farbenkleide denn
der Forschung in Tirol verblieben sind, dass hier der wiederaufgedeckte, so
werthvolle Schatz nicht der Rettung für die Kunstgeschichte durch Gopirung
der wichtigsten Originale werth erachtet worden ist? Zwar birgt die Aussen-
wand des Giebels noch eine unentstellte Probe der ursprünglichen Malerei,
allein dies Bruchstück über dem Portal hat nicht bloss durch Verwitterung
gelitten, sondern ergibt sich auch als flüchtige Leistung einer ungeübten Kraft.
Auf rothbegrenztem Felde sieht man — zum Theil durch Pfosten und
Streben verdeckt — die Kreuzigung Christi mit wenigen Nebenfiguren, des
Heilandes Haupt auf die rechte Schulter geneigt, das Gefüge der Rippen in
den Umrisslinien der Brust durch flache wellenförmige Biegungen angedeutet,
die wagrecht ausgestreckten Arme jedoch so hoch hinaufgerückt, als ob sie
nicht den Achselhöhlen eingeheftet, sondern mit dem Kopf verwachsen wären.
Das breite Lendentuch ist oberhalb der Hüfte und oberhalb des Knies aufge-
rollt, in weichen Windungen auf jeder Seite herabgezogen und durch hell-
rothen Umriss von dem gelblich fahlen Grunde unterschieden; der rechte
Unterschenkel erscheint mit ausgebogener Wade und verbreitertem Knöchel-
gelenk über den linken Fuss gezogen, dem kein Trittbrett zur Stütze dient.
Wie von der Schattirung des Tuches, waren von der Modellirung des Körpers
keine Spuren zu entdecken.
Zur Linken steht Johannes, das Gesicht geradeaus, den Blick in die
Weite gerichtet, die Rechte mit ausgestreckten Fingern und geöffneter Innen-
fläche vor die Brust gehoben, indess die Linke das dicke, von gelbem Deckel
eingefasste Buch umspannt. In dem vollen, an der linken Wange eingezogenen
Oval des Kopfes mit breiter Stirn und breitem Kinn sind die flachen Brauen
 
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