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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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O. Fischer: Die goldene Pforte zu Freiberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0340

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0. Fischer:

Gestalt gab. Gewöhnlich wird nun Maria zwar desswegen eine Thür genannt,
weil Gott durch sie zu den Menschen kam, indem er seinen Sohn von ihr
geboren werden liess, und damit den Menschen die Seligkeit, das Paradies
eröffnete. Aber eine sehr nahe liegende und selbstverständliche Ergänzung
dieser Anschauung lässt sie auch von Seiten der Menschen, welche durch sie
zu Gott kommen, eine Thür sein. Als solche ist sie hier dargestellt, damit,
wie wir Bernhard von Clairvaux sagen hörten, von ihrer Fülle Alle etwas
empfangen. Maria soll in ihrer umfassenden Bedeutung für das Heil der
Menschen als die Mittlerin dargestellt werden, durch welche Alle, Hohe und
Niedrige, Menschen und Engel, wie man berühmte, am Himmelreiche Theil
haben. Die goldene Pforte ist somit ein Lied von Stein zum Preise der
»reinsten Frouwen«.
Wie ist nun das Lob der Jungfrau von dem Künstler im Einzelnen
ausgedrückt worden?
Zwischen den Archivolten sehen wir zuvörderst, wie allgemein dafür
gehalten wird, Repräsentanten der himmlischen Hierarchie, um Maria die
Himmelskönigin, versammelt.
An den Seiten dürften wir im Gegensätze dazu die Verherrlichung Mariä
durch die Kirche auf Erden erwarten. Es ist darauf zu achten, dass die dar-
gestellten Personen, wie sie einander gegenüberstehen, paarweise zusammen-
gehören. Dies fällt auf den ersten Blick ins Auge, wenn wir an zweiter Stelle
ein Frauenpaar und an der dritten ein Königspaar erblicken.
Ein zusammengehörendes Paar bilden die beiden ersten Bildsäulen. Wir
erblicken zur Rechten einen Greis mit langem, wallendem Barte. Ueber einem
bis auf die Füsse reichenden Untergewande trägt er ein kurzes, etwa knie-
langes Oberkleid mit weiten Aermeln, das Haupt hat eine kappenartige Be-
deckung, mit der Rechten trägt er einen Krug, die Linke hält einen Blätter
tragenden Stab. Es ist, nach der allgemeinen Meinung, der Hohepriester
Aaron mit seinen herkömmlichen Attributen, dem Mannakruge und der
blühenden Ruthe. Ihm gegenüber auf der linken Seite steht ein bartloser,
jugendlicher Mann in einem von der Kleidung aller übrigen Statuen ganz ver-
schiedenen Costüme. Sein nur halblanges Untergewand ist durch einen
Gürtel zusammengehalten und lässt, mit der rechten Hand über dem rechten
Schenkel etwas aufgerafft, die mit eng anschliessenden Beinkleidern und Stiefeln
bekleideten Beine sehen. Um die Schultern ist ein halblanger Mantel geworfen,
dessen rechter Zipfel nach vorn über den rechten Arm geschlagen ist; auf dem
Kopfe scheint er eine Pelzmütze zu tragen. Die linke Hand hält eine Schrift-
rolle, während der rechte Fuss eine sehr graziöse, fast tänzelnde Bewegung
nach vorne macht. Allgemein gilt diese Gestalt für den Propheten Daniel, der
von mittelalterlichen Künstlern gern in fremdartiger Kleidung dargestellt wird.
Beide, Aaron wie Daniel, sind gebräuchliche Marientypen, und zwar
Aaron in der zweifachen Beziehung, welche durch den Mannakrug und die
grünende Ruthe angedeutet wird. Zum Gedächtniss daran, dass die Kinder
Israel während ihres Zuges durch die Wüste mit Manna gespeist worden
waren, liess Moses durch Aaron nach Exod. 16, 33 einen Krug mit dieser
 
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