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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Fischer, O: Die goldene Pforte zu Freiberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0345

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Die goldene Pforte zu Freiberg.

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mit demselben Geiste begabt worden, denn der Engel hatte ihr ja verheissen:
»der heil. Geist wird über dich kommen.« Endlich wurde gelehrt, dass
Maria schon im Mutterleibe den heil. Geist empfangen habe; so sagte schon
Paschasius Radbertus. In Bezug auf diese letztere Auszeichnung steht ihr
aber Johannes der Täufer ebenbürtig zur Seite; von ihm wird das Nämliche
ausgesagt. So berichtet uns Durand, wo er von dem Feste des Täufers spricht,
dass dieses Fest aus vier Gründen gefeiert werde; der vierte seiner Gründe
ist der, dass Johannes schon im Mutterleibe geheiligt worden sei. Hören wir
dazu Durand’s Namensvetter, den Scholastiker Durand von St. Pourqau (Gomm.
in Sentt. lib. III. dict. 3, qu. 2): »Es lässt sich denken,« sagt dieser, »dass
jenes Gnadenvorrecht, welches nach der Schrift Etlichen verliehen war, der
heil. Jungfrau, welche den Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahr-
heit gebar, nicht versagt gewesen sei. Es war aber nach der Schrift die
Heiligung im Mutterleibe vor der Geburt aus dem Mutterleibe etlichen Heiligen
verliehen, nämlich dem Jeremias, wie es heisst, Jeremias 1: ehe du aus dem
Mutterleibe hervorgingest, habe ich dich geheiligt, und Johannes dem
Täufer, von welchem der Engel sagt Luc. 1: er wird mit dem heil. Geiste
erfüllt werden noch von seiner Mutter Leibe an. Desshalb wird es für selbst-
verständlich gehalten, dass die heil. Jungfrau geheiligt worden sei, bevor sie
von Mutterleibe geboren wurde.«
Die enge Beziehung zwischen dem Täufer und der Jungfrau geht aus
dem Angeführten klar hervor, und ebenso wie den oben besprochenen Per-
sonen hat diese Verbindung mit Maria unseres Dafürhaltens dem Täufer seinen
Platz an der goldenen Pforte gegeben.
Die noch übrige achte Statue stellt einen jungen Mann barhaupt im
Mantel mit ausgezacktem Ueberschlagkragen dar, wie solcher der französischen
Mode der Entstehungszeit des Monumentes entsprechen mag. Der Gegen-
stand, welchen er in der Hand trägt, ist nicht deutlich zu erkennen; es ist
wohl eine Schriftrolle oder ein Buch. Für wen haben wir den Mann zu
halten? Die Erklärer lassen uns vornehmlich die Wahl zwischen dem Evan-
gelisten Johannes und dem Propheten Nahum. Dem Ersteren würde das Aus-
sehen der dargestellten Person ebenso wie die Zusammenstellung mit Johannes
dem Täufer wohl entsprechen. Schon der gleiche Name gab den mittel-
alterlichen Theologen Veranlassung, beide Johannes mit einander zu ver-
gleichen und darüber zu disputiren, welcher von ihnen der grössere wäre.
Auch sagte die Tradition, der Evangelist sei am Geburtstage des Täufers ge-
storben. Ebenso lässt sich der Evangelist leicht zu Maria in Beziehung setzen;
er war ja der jungfräuliche unter den Aposteln und von Jesu selbst an dessen
Mutter gewiesen. Alle diese Erwägungen können uns aber nicht zwingen,
hier den Evangelisten zu erkennen. Am meisten hält uns der Umstand davon
ab, dass die auffindbaren Beziehungen ihn nicht mit der Jungfrau und seinem
Namensgenossen zugleich verbinden, wie wir nach dem bisherigen Gange
unserer Untersuchung erwarten mussten.
Wir sahen oben die Jungfrau theilnehmend an dem dem heil. Geiste
zukommenden Trösteramte. Wie sie dem göttlichen Wesen überhaupt möglichst
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