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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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O. Fischer: Die goldene Pforte zu Freiberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0346

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302

0. Fischer:

nahe gerückt wurde, so stellte man sie gerade als die »Trösterin« (consolatrix)
neben den »Tröster«. »Komm, berühmte Trösterin,« singt eine Sequenz,
welche eigens als eine »Sequenz auf die Jungfrau Maria auf den Pfingsttag«
bezeichnet wird und dadurch die Zusammenstellung der Jungfrau mit dem
heil. Geiste deutlich erkennen lässt. Ein deutscher Dichter singt: »Hilf mir,
frouwe, so diu sele von mir scheide, so cum mir ze tröste (Wackernagel,
Lesebuch, S. 440).« Auch hier wird auf Maria die Tröstung am Lebensende
übertragen, welche eigentlich dem heil. Geiste zukommt. Erinnern wir uns
nur, wie die alte Pfingstleise sagt: »Nu bitten wir den heiligen Geist
um den rechten Glauben allermeist, dass er uns behüte an unserem Ende,
wenn wir heimfahren aus diesem Elende.« Auch Walther von der Vogel-
weide sagt in seinem Marienleich: »Du sende uns tröst von himel her.«
Zu diesem der Jungfrau zugeschriebenen Trösteramte passt es, wenn
wir in der achten Statue den Propheten Nahum erkennen. Dieser wurde
wegen seines Namens schon von Hieronymus als der »Tröster des Erdkreises«
(consolator orbis) bezeichnet, welche Benennung sich durch das Mittelalter
nachweislich fortgepflanzt hat und hier wahrscheinlich die Veranlassung zur
Darstellung des Propheten geworden ist. Auch die Art und Weise der Dar-
stellung passt auf Nahum; er ist in fortschreitender Bewegung dargestellt, wie
er in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt auch über Bergspitzen hinschreitend
gemalt ist mit Rücksicht auf Nahum 1, 15. Endlich ergibt sich bei diesem
Propheten eine mit Johannes dem Täufer parallele Beziehung auf Maria; beide
deuten auf ihre besondere Begabung mit dem heil. Geiste hin. Bei Nahum
ist diese Beziehung zwar etwas weit hergeholt und daher schwer zu erkennen;
allein, es mag dem Künstler selbst schwer gewesen sein, eine in den Rahmen
seiner gesammten Conception passende biblische Persönlichkeit ausfindig zu
machen. Und was noch ganz besonders für diese Deutung spricht, ist, dass
durch sie alle acht Statuen sich zur wohlgegliederten und geordneten Dar-
stellung eines einheitlichen Gedankens zusammenfügen.
Welchen Gedanken wollte nun der Künstler durch die Zusammenstellung
jener vier Typenpaare ausdrücken ? Oben gab uns die Gesammtanordnung des
Monumentes Veranlassung anzunehmen, dass durch die Seitenstatuen im Gegen-
sätze zu den Darstellungen im Bogen die Verherrlichung Mariä durch die Kirche
auf Erden versinnlicht werden solle. Diese Verherrlichung vollzieht die Kirche,
sofern sie handelnd auftritt, in solenner Weise durch die Feier ihrer Marienfeste.
Vernehmen wir nur, was der Liturgiker Durand (Rat. L. VII. De purif. B. M. V.)
über die Bedeutung der hauptsächlichsten Marienfeste sagt: »Unter allen Heiligen
nimmt die ruhmreiche Gottesmutter, allzeit Jungfrau Maria, den ersten Rang ein,
sofern sie nämlich würdiger und erhabener ist, als alle Heiligen. Ihr zu Ehren
begeht die Kirche in den vier Jahreszeiten vier feierliche Feste, nämlich die
Verkündigung, Himmelfahrt, Geburt und Reinigung. Diese Feste aber werden
gefeiert entsprechend den vier Segenswünschen, welche in dem Grusse (des
Engels) an die Jungfrau selbst enthalten sind. Der erste lautet: Gegrüsset
seist du Maria, voller Gnaden; er entspricht dem ersten Feste, nämlich der
Verkündigung, da sie nämlich der Engel grüsste und sie, mit Gnade erfüllt, von
 
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