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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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O. Fischer: Die goldene Pforte zu Freiberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0347
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Die goldene Pforte zu Freiberg.

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dem heil. Geiste empfing. Der zweite lautet: Der Herr ist mit dir; er entspricht
der Himmelfahrt, sintemal sie in den Himmel aufgenommen ward, weil sie
bei ihrem Herren, das heisst bei ihrem Sohne, wie dies der Herr ist, war,
vorher hatte sie ihn nämlich nicht so offenbar als den Herren gesehen. Der
dritte Gruss lautet: Gesegnet bist du unter den Weibern; er entspricht der
Geburt, denn da ward sie als ein im Mutterleibe geheiligtes Weib geboren.
Der vierte Segenswunsch lautet: Gesegnet ist die Frucht deines Leibes; er
entspricht dem vierten Feste, nämlich der Reinigung; da brachte sie nämlich
jene gesegnete Frucht im Tempel dar.« Die übrigen Marienfeste, deren Durand
auch gedenkt, sind entweder nicht so wichtig wie diese oder damals nicht
allgemein verbreitet. Aus Gründen, deren Erforschung uns fern liegt, hat
Durand seine vier Marienfeste mit den Jahreszeiten in Parallele gesetzt, was
der Wirklichkeit nicht genau entspricht. In den Lauf des Kirchenjahres fallen
sie so, dass das vierte an die erste Stelle tritt: Reinigung, 2. Februar; Ver-
kündigung, 25. März; Himmelfahrt, 15. August; Geburt, 8. September. Den
vier Marienfesten in dieser Reihenfolge entsprechen nun die vier Statuenpaare
an der goldenen Pforte; sie sind eine streng dem kirchlichen Gedankengange
angeschlossene Verherrlichung der Jungfrau. Und wie nach Durand’s Worten
jene vier Feste dem Engelsgrusse entsprechen, so vereinigen sich unsere Sta-
tuen zu einer plastischen Darstellung des ältesten und verbreitetsten Marien-
lobes, des Ave Maria. Sei es gestattet, dies folgendermaassen näher zu be-
gründen.
Bei der Besprechung des ersten Statuenpaares deuteten wir bereits an,
dass die typische Bedeutung Aaron’s und Daniel’s sich auf die Jungfräulichkeit
Mariä erstrecke. Diese ist es nun eben, welche an dem ersten der angeführten
Marienfeste, dem der Reinigung, gefeiert wird, nicht etwa bloss die Thatsache,
dass Maria in den Tempel kam, um das Reinigungsopfer darzubringen und
ihren Sohn darzustellen. »Die heilige Jungfrau,« sagt Durand (1. c.), »obwohl sie
der Reinigung nicht bedurfte, noch dem Gesetze der Reinigung unterworfen
war, weil sie auf keine Weise unrein war, wollte dennoch nach der Vorschrift
des Gesetzes handeln.« Weiter werden wir von demselben Gewährsmann be-
richtet, das Fest heisse auch Candelaria (Lichtmess) und es werde an dem-
selben ein Procession gehalten, sowohl aus anderen Gründen, als auch, »um
die Reinheit der Jungfrau anzuzeigen; damit nicht Jemand, der von ihrer
Reinigung hört, glauben könne, sie habe der Reinigung bedurft. Wir tragen
also,« fährt er fort, »brennende Lichter, gleich als wollte die Kirche durch
diese Thatsache selbst sagen: heilige Jungfrau, du bedarfst der Reinigung nicht,
nein, du bist lauter Licht, lauter Glanz.« Dieselbe Bedeutung des Festes wird
auch in der entsprechenden Messliturgie hervorgehoben. In dieselbe finden
wir die Sequenz Goncentu parili aufgenommen, welche die Mutter des Herrn
als »hochheiligen Leibes, sehr keusch an Sitten, die schönste von allen, die
Jungfrau der Jungfrauen« anredet und spricht: »Du hast, unberührte Mutter,
in den Tempel zur Reinigung den mit dir genommen, der als menschgeborener
Gott dir die Ehre der Reinheit mehrte. Freue dich, heilige Maria; der Herz
und Nieren erforscht, hat dich seiner eigenen Einwohnung einzig für würdig
 
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