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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Litteraturbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0400

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356

Litteraturbericht.

längere Zeit sich in Deutschland aufhielt, um in den Kunstsammlungen seine
Studien zu machen. Die Resultate derselben hat Emile Michel in einer Reihe
von Aufsätzen in »L’Art« niedergelegt; die drei Museen, welche bisher darin zum
Abschluss gebracht sind, hat jetzt die Verlagsbuchhandlung des »L’Art« in einem
starken und reich ausgestatteten Bande besonders ausgegeben.
Die feine, liebenswürdige Art, in welcher der Verfasser sich damals mit
uns vor den Kunstgegenständen über diese auszulassen pflegte, bildet auch den
Grundton dieses Buches, welches sich in erster Linie die Aufgabe stellt, das
Interesse an den deutschen Sammlungen in Frankreich in weitere Kreise
zu tragen. Die einschmeichelnde klare Art des Vortrags ist gewiss dazu
angethan , für den nächsten Zweck wohlthätig zu wirken. Der Verfasser
hat sich aber noch ein höheres Ziel gesetzt, durch welches das Buch auch
für uns Deutsche — abgesehen von dem Interesse des Urtheils eines Fran-
zosen über unsere Sammlungen — noch besonderen Werth erhält. Bei der
Besprechung einzelner Bilder giebt nämlich Michel kurze Charakteristiken
der Künstler, die er bei einer grösseren Zahl hervorragender Gemälde eines
und desselben Meisters zu einem ausführlichen Bilde seiner Entwicklung ge-
staltet. So für Rembrandt bei Besprechung seiner Gemälde in Cassel, für
Rubens und D. Teniers bei Aufzählung ihrer Gemälde in der Pinakothek
zu München u. s. f. Der Verfasser macht gar nicht den Anspruch, viel Neues
für die Kenntniss dieser Künstler zu Tage zu fördern, das ist nicht einmal
seine Absicht. Aber die unparteiische Darstellungsweise, das klare Urtheil,
welches überall eigene Studien verräth, und ein für den ausübenden Künstler
seltener historischer Sinn lassen den Verfasser in seinen Ausführungen in den
widerstreitenden Meinungen der Kunstforscher meist mit Schärfe und Tact
das Richtige treffen.
Ein besonderes Interesse bietet es, gerade einen so hervorragenden Maler,
einen der letzten Vertreter der grossen französischen Landschafterschule, sich den
Gemälden der alten Meister gegenüber aussprechen zu hören. Dem Künstler-
auge fällt so manche Schönheit, so manche Eigenthümlichkeit sofort auf,
welche dem Kunsthistoriker über allerlei historische Fragen erst allmälig oder
gar nicht zum Bewusstsein kommen. Desshalb sind uns alle solche Publi-
cationen von Malern, welche mit Ernst und Fleiss sich in die Werke der
alten Meister vertieft haben: ich nenne Sir Joshua Reynolds und Eugene
Fromentin, von besonderer Anziehung und besonderem Nutzen.
Bei der Ausstattung erwähne ich, dass Michel selbst eine Reihe von
Landschaften von Rembrandt, Rubens, Ruisdael, Claude u. s. f. für die Re-
production gezeichnet hat. Sie haben mich unter den zahlreichen, zum Theil
sehr glücklichen und verschiedenartigen Abbildungen weitaus am meisten
angezogen, da wir daraus lernen, was ein hervorragender Landschafter unserer
Zeit in diesen alten Meisterwerken sieht und wie er sie übersetzt.
W. Bode.
 
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