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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 7
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Knorr, Theodor: "Japanismus" in alten deutschen Holzschnitten
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Kühl, Gustav: Unsere Musikbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0061
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.JAPANISMUS" IN ALTEN DEUTSCHEN HOLZSCHNITTEN.

Ende des 15. Jahrhunderts, ergaben. Bei der
handwerkiichen Behandiung der Buch-JHustra-
tionen und Eindruckblätter, welchen dieses
Materiai entnommen ist, tritt der Übergang, der
von der strengen Stilistik der romanischen und
gotischen Kunstperiode über die ,,stilfreie" An-
deutung zur Naturnachahmung führte, besonders
klar zutage. Während das größere Biidwerk
eine ausgeprägtere Behandiung nach der stilisti-
schen oder der naturbeobachtenden Seite nahe-
legte, ist es in diesen Biättern vor ailem ,,An-
deutung", was angestrebt wird, und eben dieses
Streben, ein ausdrucksvoiies Andeutungsbild zu
bieten, mag den ,.Japanismus" bedingen, der
bei manchen Beispielen so überraschend wirkt.
Auch der Japanismus in der modernen Kunst,
ursprünglich erzeugt durch die Anerkennung,
welche die erstaunliche künstierische Qualität
des japanischen Hoizschnittes bei Kennern fand,
betont hauptsächiich die bioße Andeutung im
Gegensatz zur gröntmöglichen Jliusion.
Bie Abbiidungen sprechen für sich seibst.
Die drei ersten stammen aus einem Kodex der
St. Gailener Bibiiothek und gehören sämtiich


dem Ausgange des 15. Jahrhunderts an. Auf
die Charakterisierung einer bestimmten Baum-
gattung ist es hier augenscheiniich nicht ab-
gesehen, so wenig wie bei der ietzten Ab-
bildung dieser Reihe, weiche aus einem Strafi-
burger Druck von 1^72 entnommen ist. Dagegen
ist in der andern Reihe der beigegebenen
Proben aus der gieichen Zeit auf die Indivi-
duaiisierung der Bäume Wert geiegt; die drei
ersten, die sich ais Linde, Eiche und (wahr-
scheiniich) Nußbaum erkennen lassen, ßnden
sich zusammen auf einem Hoizschnitt, die drei
Tannen mit dem Strauche darunter (aus einem
Einblattdruck der Tübinger Bibliothek) sind
gieichfalis andeutungsweise individuaiisiert.
Fast noch auffaliender ,,japanisch" ist die
Darsteliung eines Büscheis Uferschiif auf einem
andern Tübinger Blatt, wetchen ich deshaib
auch hier abbilde. Wie die Linien unterbrochen
sind und dadurch die Breitseiten der Biätter in
der Luft zu schweben scheinen, das ist sehr an-
schauiich gegeben, aber wie japanisch wirkt das!
Dabei stutzt man und besinnt sich beinahe, ob
Japan damais überhaupt schon entdeckt war.



YJNSERE MUSIKBEILAGE.
Die biblische Szene ,,Pharisäer und
Zöilner" von Heinrich Schütz (1585—672) kann
in der Hausmusik ais ein Duett behandelt
werden. Im Originai sind nur die beiden
Betenden ais Soiostimmen gedacht, die ein-
leitende Erzähiung singt ein Frauenchor, und
an die ietzten Worte des Zöiiners schiießt sich
noch ein Schlußchor: ,,Ich sage euch: Dieser
ging hinab gerechtfertiget in sein Haus für
jenem".
Die Eigentümiichkeiten Schützscher Kom-
positionen zeigen sich in dem kleinen Werke
sehr deutiich. In der Anfangsmeiodie das
voiksmäßig Deutsche, in dem Zwiegespräch
der beiden Sünder aber die derbe Realistik, die
aus der Sphäre des Kuitusmäßigen, für jene
Zeit wenigstens, herausfäilt, und zu der Schütz
wohl anfänglich durch itaiienische Vorbiider

angeregt worden ist (er war 1629 ein Jahr lang
in Venedig).
Der bibiische Text gibt dem Pharisäer eine
iange Rede, dem Zöiiner fünf Worte. Diese
Verschiedenheit der Zeit mußte der Komponist
zerstören, wenn er einen Zwiegesang schaffen
woiite; er mußte den einen ebenso reichlich zu
Worte kommen lassen, wie den andern. Aber
die iangen Pausen zwischen den Seufzern des
Zöiiners und die ewig gieiche Melodie, die nur
nicht immer in derselben Höhe einsetzt, wahren
dennoch dem rührenden Gebet seine Einfachheit
und machen es nur noch eindringiicher. Es
ist jedesmal, als sähe man den Armen von
neuem aus der Versunkenheit aufwachen und
an seine Brust schlagen, während der Pharisäer
mit seiner wichtigen Rederei langweilig wird.
So behält denn der Bescheidenere doch das
letzte Wort, und eine weihevolle Stimmung
füllt die Kirche.

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