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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 3
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Jacques, Norbert: Liebesabend in Besigheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0105
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iebesabeud m Besigheiin.
Von Norbert Jacques.
In irgend einem Schnellzug! Und in der Sehn-
sucht und im Sinn den Süden, dem ich entgegenfabre.
Sizilien^ und Taormina, oder nur Mailand und Bologna.
Nur? Einerlei, vorerst stiegt der schaukelnde Singsang
des Nachtzugs durch Schwaben. Es war gerade Nacht
geworden. Ich saß allein zwischen zwei graugrünen
muffigen Polstern in einem tief verteilten Wagen, und
eine Müdigkeit mehr der Gefühle als des Körpers rann
an mir herab, wie trauriger Regenglanz an winterlichen
Baumstämmen. Ich bekam den dringlichen Wunsch,
nun gleich auf der nächsten Station auSzusteigen, das
erste Hotel auszusuchen, mir Feuer in dem Ofen eines
kleinen Zimmers zu machen und im Bett vor meiner
trübseligen Vereinsamung flüchtend unterzugehn.
Die Nacht glitt geräuschlos und unsichtbar vor dem
geschlossenen Fenster zurück. Nur einmal glühten in
beträchtlicher Tiefe einige Lichter. Fuhren wir so hoch?
Zuin Lachen: daß wir aus einen Hügel liefen, riß mir
in die Nerven, als spürte ich die weiche Sehnsüchtigkcit,
mit der am Tag das Land zu Füßen des Berges weit-
hin wehmütig zart verblaute. Ich preßte mich mit
einer unwirschen Bewegung in dein Polster aus, schlug
das Fenster nieder und fuhr mit dem Kops in den
gewaltsamen Luftzug hinein, mit dem die Nacht sich an
den rasenden Eisenbahnwagen entlang rieb.
Mit geschlossenen Augen ließ ich cs eine Weile
dauern, daß mir der Luftzug klatschend im Nacken saß.
Aber als die erste Heftigkeit überstanden war und die
Augen sich wieder öffnen konnten, sah ich im Nachbar-
fenfter das Bild eines Frauenkopfes, der so in der
Nacht lag, wie ich. Das Licht fiel aus dem Fenster
und ruhte unbeweglich in der rasenden Flucht des Zuges
aus dem Kops. Der Wind griff starr in die blonden
Haare, riß ein paar Strähnen heraus und hielt sic mit
leidenschaftlicher Unbeweglichkeit in seine Richtung ge-
streckt. Wie war das so ergreifend schön! Die Nacht
der ganzen Welt kreiste ins Endlose zurück, der Zug
rauschte und brauste, wie ein Wasserfall, und inmitten
all solcher Gewaltsamkeit die beleuchtete Stille dieses
blonden FraucnkopfeS. Und sicherlich entglitten ihm
Gedanken und Bilder ins Nachtland hinab, an deren
suchender Sehnsüchtigkcit meine müde Trauer sich süß
entlang lehnen konnte. Es war, als ob zwei Körper
sich aneinander aufrichtetcn, bis sich ihre Münder zu-
sammenfinden sollten, und in diesem Suchen lag die
Spannung, die dem Leben seine Möglichkeit gab, lag
der unsagbar singende Weg zu den Wäldern, in deren
Rauschen irgendwo der heidnische Tempel des „Genusses"
stand. Und wie in Stahl hinein schlug mir die rasende
Nacht den Sinn, aus den sich mein Leben baute,
klarer als wie noch jemals ins Herz: die Welt ist tief,
und dankbar nehm ich aus ihrem Schoß Schmerz und
Freude, recke mich hinein, wie eine Pappel im heißen
Sommergenießen steht und sich im wüsten Sturm
kreisend peitscht.
Es war mir nun klar, daß ich hingehn, den blonden
Frauenkopf küssen mußte. Ich hatte ihn so schön, so

voll schwerer Gedanklichkeit gesehn, wie sicher niemals
vorher irgend Einer. Gab das mir nicht das Recht,
ihn mein zu machen?
Da zog die Frau den Kopf zurück und ich begab
mich langsam zu ihr hinüber. Ich sagte ihr, was ich
gesehn und an ihrem schönen Kops erlebt hatte. Sie
war wohl zwanzig Jahre alt, hatte blaugraue Augen,
und unter der Nase, die sein kräftig war und in ihrer
leisen Biegung ein heimliches Leben lieber Sinnlich-
keit trug, wurde die Oberlippe merkwürdig herrisch
etwas hochgezogen. L>o entstand trotz der schmalen,
mit entschiedenen Strichen schön gezogenen Lippen ein
kleiner Mund, dessen Wölbung voll und weich auösah
und prickelte, wie flüchtige Kohlensäure. Die Augen
hatten ein frauenhaftes Lächeln, und die Haare waren
kostbar üppig und von jener stumpsblonden Farbe, die
etwas wie verhaltene Glut in sich trägt, zum Hinein-
grcisen.
Sie steckte gelassen die Strähnen zurecht, während
ich zu ihr sprach. Sie tat das mit freien Bewegungen.
Ich wollte ihre Ellbogen küssen, so schön standen ihre
Arme von den Brüsten weg. Mit ihrem Haar war
sie schnell fertig. Dann setzte sie sich und preßte die
gefalteten Hände zwischen die Knie. Sie schaute mich
erwartungsvoll und abwchrend an. Es entstand eine
Pause. Aber sie war wohlersüllt mit Blicken. Plötz-
lich fragte sie: „Sie sind wohl auch ein Maler und
fahren nach Besigheim?"
Ich glaube, das Wort Besigheim habe ich niemals
vorher in meinem Leben gehört. Aber es klang so
schwäbisch, daß es wohl in der Nähe sein mußte. Und
ich sagte: „Ja!" Über mein italienisches Fahrscheinheft
hinweg: „Ja!" Aber daS lies ja nicht davon, und
Mailand und Neapel und Sizilien blieben wohl noch
so lange da unten liegen. Doch der blonde Kops konnte
einen andern, entgegengesetzten Schnellzug finden.
Es wurde nun aus einmal merkwürdig harmlos
zwischen uns. Wir sprachen, als seien wir Bekannte von
ehemals, die sich seit einigen Jahren nicht mehr gesehen
hatten und über diese Zeit nur schnell eine Brücke zu
schlagen brauchten. Es wurde hier und es wurde
drüben ein Steinchen Bekenntnis, Erinnerung gesetzt.
Bis Bietigheim draußen gerufen wurde und sie sich
anschickte auSzusteigen. Ich ergriff galant ihr Gepäck
und ließ sie vorangehn. Sie nahm zuerst, ich gleich
nach ihr am Schalter eine Karte nach Besigheim, und
der Preis von Z5 Pfennigen, die diese Karte kostete,
fixierte meine geographischen Kenntnisse über Besigheim
um ein beträchtliches. Da wir gleich Anschluß hatten,
waren wir also in kaum einer Viertelstunde in Besig-
heim.
Am Bahnhof war es leer und düster. Wir stiegen
als die Einzigen aus.
„Und welches Hotel?" fragte sie. „Kennen Sie
eins?"
„Ich will offen sein," entgegnete ich, „von Ihren
schönen Lippen hörte ich den Namen dieses Ortes zum
erstenmal!"
Sie lachte laut heraus.
„Meiner Offenheit ist Ihre Klugheit anscheinend zu-
vorgekommen?"


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