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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 3
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Jacques, Norbert: Liebesabend in Besigheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0106

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Liebesabeiid in Besigheim.

Daraufhin nickte sie: Ja! Nun Gott, ja; sie war
doch auch klug. Und süß, süß! Sie stand schlank und
sein kultiviert in dem schäbigen Licht der einzigen rötlich
leuchtenden Glühbirne. Die Lackkappen ihrer seinen
Stiefelchen funkelten wie Steine das Licht der Glüh-
birne wider. Schmal und warn: lag der einfarbig
schwerbraune Mantel an ihrer Gestalt.
Ach, wärst du mein, dachte ich, von neuem verführt,
du schöne, blonde Frau! Ich lieb dich doch! Und in
dem Impuls dieser Sehnsucht ließ ich alle Koffer, mit
denen ich beladen war, schnell zu Boden sinken und
reichte ihr die Hand. Fragend und vielleicht über-
rumpelt, gab sie mir die ihrige und entzog sie gleich
wieder. Ich wich verlegen vor meinem eigenen schroffen
Gesühlsausbruch zurück und fragte sie, wie sie denn
nun eigentlich anzuredcn sei. Aber sie sträubte sich
ihren Namen zu sagen.
„Dann nenn ich Sie Dora!" sagte ich boshaft.
„Um des lieben Friedens willen, nein, nein. Lieber
also: Ich heiße Galathee!"
In diesem Augenblick bemerkte ich, wie ein halb-
ausgewachsener Bursche, mit dem Bauch über das Gitter
der Sperre geschoben, Stück für Stück von unserem
Gepäck heranlangte.
,/Mla, junger Mann, weshalb so mühevoll?"
„Hotel!" knurrte er weiter arbeitend, ohne auszu-
blicken.
„Ach so, aber weshalb meinst du, daß wir gerade
in dein Hotel ziehn? Wir können ja wohl auch zufällig
ein anderes gewählt haben."
„Sell nit!" grinste er belustigt auf und stellte die
Arbeit ein Weilchen ein, um seine Freude auszukosten.
Auf seiner Mütze las ich dann: „Hotel Waldhorn",
und wegen dieses schönen Namens wollten wir auch
weiter nichts dagegen haben und reichten dem Burschen
den Rest des Gepäcks hinaus.
Es kam mir vor, als ob der impulsive Handdruck
von der Malerin verstanden und gewürdigt worden
wäre, und ein heimliches Gefühl des Geborgenscins
schloß mich eng und mit guter Laune an das Mädchen
an. So gingen wir über das Trottoir einer banalen
neuen Straße dahin, in der dann und wann ein reiz-
loses, neues „Villenhaus" aus dem Lichtkreis einer
elektrischen Straßenlaterne austauchte. Es war nicht
sehr sauber aus dem Pflaster und auch glitschig. Galathee
legte aus einmal ihren Arm leise in den meinigen.
Da fing es an, daß ein Wasser in unserer Nähe
rauschte. Ein Brückenkopf quoll breit und hell unter
dem Licht einer an Ketten hängenden Laterne aus der
Nacht. Aber die Laterne blendete alles hinter sich ab.
Nur auf einem etwas entfernten Hügel leuchteten einige
hohe Lichter nebeneinander, klar und sehnsüchtig.
„Ja, wo liegt denn nun die Stadt?" fragte ich.
Aber das Mädchen hielt mich mit dem Arm an:
„Ich weiß nicht! Aber eins: Besigheim ist sehr
schön. Ich kenne es von Bildern von Schönleber, und
es liegt auch sicher in diesem schwarzen Tümpel. Nun
wollen wir langsam und vorsichtig weiterrücken, und
sobald die Laterne da hinter unseren Augen ist, wird
eö vor uns auftauchen. Ich Hab eS oft so gemacht.
Los . . . langsam, schrittweise . . . !"

Und nun lag aus einmal im Zwielicht der Nacht
und einiger Laternen ein Städtchen nah, steil im Hügel,
verwachsen, gut, schwer und alt. Die Nacht wischte
dunkel drüber. Bisweilen quoll oben ein Bündel Licht
durch einen Spalt und verbreitete sich verfließend über
die Streifen von wenigen Haussassadcn. Nur die
Lichter auf dem Hügel standen blinkend auf ihrer
unsichtbaren Höhe. n
„Fräulein Galathee, jetzt gehn wir noch nicht ins
Hotel. Klettern wir zuerst noch etwas zu diesen Häusern
hinauf. Gelt, Sie sind damit einverstanden?"
„Gern!" antwortete sie und nahm wieder meinen
Arm.
So stiegen wir jenseits der Brücke eine aufgeweichte,
lange Straße hinan, die schräg die Stadt durchschnitt.
Alte, einfache, schwere Häuser schoben sich beiderseits
heran, und zur Rechten gingen höher stehende Gebäude
in herrschsüchtigen Launen oder bequemer Behäbigkeit
über den Dächern weiter hinaus. Wir irrten rechts und
links ab, hin und her. Alle Gaffen waren verödet,
menschenloS, und zierliche Schilder hingen an langen
Armen über unsere Köpfe. Ihr Gold düsterte auf,
wenn eS einmal der Schein einer der paar Straßen-
laternen traf. Dann waren auf einmal zwei Leute
droben in der Gasse. Sie standen ganz unbeweglich
und verdächtig, und nicht ohne Mut rückten wir auf
sie los. Sie waren in einiger Entfernung sich gegen-
über aufgestellt und hatten flache Mützen auf und an
den Seiten breite, krumme Schwerter in dicken, dunkeln
Scheiden. Ihre Augen versuchten unser Dasein zu
durchbohren, so sahen wir sie starr an uns anprallen.
Ja, ihr guten Polizisten, gelt, was tun die zwei fremden
Menschen in dem euch anvertrauten Städtele zu solcher
Stund, zu solcher Jahreszeit? Wohl, wohl, im Sommer
schon, da kommen mal Maler und dergleicherlei. Aber
an einem regnerischen Dezembertag!? Trotzdem taten
wir den beiden Erkannten die Gefälligkeit nicht, sondern
gingen stumm zwischen ihnen hindurch, ohne einen Paß
zu präsentieren. Und sie blieben auch regungslos beider-
seits stehn, und der rechts war ein schlank gewaltiges
Ausrufungszeichen, und der links stellte ein schweres
Fragezeichen daneben an unfern Weg.
Aber ein steinerner Brunnenritter, ein bärtiger Mann,
hob über dem dünnen Wasserstrahl, der mit ergebenem
und trotzdem etwas wehmütigem Gelangweiltsein ins
Becken niederfiel, eine Steinfaust hoch und schützte die
Stadt vor den zweifelhaften Eindringlingen. Zugleich
reckte sich als Hintergrund des Brunnenhelden und eines
kleinen Platzes ein schlankes, freistehendes Bauwerk
dunkel und turmähnlich in die Nacht, in deren hohen
Wolken schon der hinter den Bergen heransteigende
Mond silberne Schäume trieb. Wir mußten nun ganz
auf der Höhe sein. Wohl auch in der Hauptstraße, denn
verhältnismäßig eben zog die Gasse mit kurzen Windungen
uns dahin. Die Häuser stellten die Einfälle ihrer alten
Erbauer um uns. In geschweifter Flucht klang Giebel
hinter Giebel, oft verschieden geartet und doch in ein
Bild strebend, wie ein Orchester mit vielfachen Instru-
menten: eine lyrische Geige hinter einem idyllischen Hoboe,
ein alter, derbwitziger Baß mit einem keck schweifenden
Waldhorn, ein episches Cello neben einem gestelzt

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