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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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[Heft 6]
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Jeckyll, Gertrude: Blumenfarben
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Gedichte von Hans Reinhart
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Hesse, Hermann: Lindenblüte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0201

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lässig ist. Ich nehme an, daß der Gebrauch von
„schneeweiß" wie von „goldgelb" mehr symbolisch als
genau beschreibend aufzusasscn ist und irgend ein Weiß
bedeutet, das den Eindruck der Reinheit macht. Fast
alle weißen Blumen sind gelblichweiß, und die ver-
hältnismäßig wenigen, die blüulichweiß sind, wie z. B.
Owxbaloäss lmikolia, haben so wenig mit Schnee zu
tun, daß sie überhaupt nicht damit zu vergleichen sind.
Mir scheint vielmehr, daß die meisten weißen Blumen
der Farbe des Kalks nahekommcn; denn obwohl das
Wort kalkweiß mitunter in etwas geringschätzigem Sinne
gebraucht worden ist, so ist die Farbe in Wirklichkeit
ein sehr schönes, warmes Weiß, wenn auch durchaus
nicht intensiv. Die Blume, die mir immer am weißestcn
aussieht, ist Idsri8 sswpsrvirsus (Schleifenblume). Das
Weiß ist tot und hart, wie ein Stück glasierten, irdenen
Geschirrs, ohne jedes Lichtspiel, und darum uninteressant.
Gedichte von Hans Reinhart?
i.
Hier wo in braunen Kutten Mönche wallten:
geschorene Häupter, Bücher in den Händen,
umsängt unö blumenduftend kühle Nacht.
Wir sitzen beieinand am grünen Tisch.
Die Lampe spendet Licht und Freundlichkeit,
und leise zieht ein Wind durch hohe Bäume.
Nock zirpt ein kleiner Vogel müd im Laub.
Fernher aus der Kaserne: daö Signal
des WachttrompeterS, der zum Schlafen mahnt.
Wir reden nicht, die Seelen schweigen still
und ruhen in den hohen Bäumen auö
und flüstern leise wie das Laub im Wind,
und freuen sich gefreundet: eine Schar,
weltabgeschlossen, fern dem Marktgetrieb,
und doch inmitten einer großen Stadt,
wo bleich Verbrechen, scheues Elend ist.
Doch weht der Abend alle Furcht hinweg
mit Blumcndust und milder Freundlichkeit.
O heilige Ruhe du im Klosterpark!
Segnung des Herrn im Abend Wunder voll!
Wir wollen schweigen und die Arme breiten
und lächeln wie daö Muttergottcöbild,
das schlicht im blühenden Gebüsche steht,
wo sich der Efeu um die Mauer rankt.
II.
Der volle Mond liegt übers Land gebreitet.
Die Bäume stehn im Schlaf und rauschen leise.
Ich schreite heimwärts, unsichtbar geleitet.
Mein Herz im Traum singt eine alte Weise.
Der kleine Kirchhof ruht in starrer Helle.
Die Toten staunen auö dem Leichcnhausc.
Ein Myrtenkranz liegt reglos auf der Schwelle;
er schläft bei einem welken Blumensträuße.
Es huscht mein Schatten über Kreuz und Steine.
Ich aber schreite durch die tote Nacht
und schaue fern, wie still beim Lampenscheine
ein Weib bei einem kleinen Kinde wacht.
* Aus „Frührot der Tag", Gedichte von Hans Reinhart
(Verlag Axel Juncker, Stuttgart).


indenblttte.
Von Hermann Hesse.

Die langen Tage sind gekommen und jetzt blühen
wahrhaftig auch schon die Linden wieder. Und am
Abend, wenn cs zu dunkeln beginnt und wenn die
schwere Arbeit getan ist, kommen die Weiber und Jungfern
daher, steigen an einer Leiter in die Aste hinauf und
pflücken sich ein Körblein voll Lindenblüten. Davon
machen sie späterhin, wenn jemand krank wird und
Nöte hat, einen heilsamen Tee. Sie haben recht; warum
soll die Wärme, die Sonne, die Triebkraft und der
Duft dieser wundersamen Jahreszeit so ungenützt ver-
gehen, warum soll nicht in Blüten oder sonst irgendwo
etwas davon verdichtet und greifbar hängen bleiben,
daß wir cs holen, beimtragen und später einmal in
kalten und bösen Zeiten einen Trost davon haben können?
Wenn man nur von allen: Schönen und Lieblichen
so einen Beutel voll einsacken, aufbewahren und für
bedürftige Zeiten aufsparen könnte! Freilich, es wären
ja doch nur künstliche Blumen mit künstlichem Wohl-
geruch! Alle Tage rauscht die Fülle der Welt an
uns vorüber, alle Tage blühen Blumen, strahlt daö
Licht, lacht das Leben. Manchmal trinken wir uns
daran dankbar satt, manchmal dann wieder sind wir
müde und verdrießlich und mögen nichts davon wissen;
immer aber umgibt uns ein Überfluß des Schönen,
dessen wir nicht wert sind. Dies ist daö Merkwürdige
und Herrliche an jeder Freude, daß sie ganz unverdient
uns überkommt und niemals käuflich ist. Sie ist frei
und ein Gottesgeschenk für jedermann wie der wehende
Duft der Lindenblüte.
Die Weiber, die so emsig in den Asten hocken und
die Gabe einsammcln, die haben hernach ihren guten
Tee für Atemnot, Husten und Fieber, aber das Beste
und wahrhaft Feine davon haben sie nicht. Das haben
nicht einmal die sommcrabcndlich lustwandelnden Liebes-
paare in ihrer süßen, dumpfen Trunkenheit; aber der
Wanderer hat es, der vorübergeht und beim Wittern
des Duftes tiefer atmet. Der Wanderer hat das Beste
und Zarteste von allen Genüssen, weil er neben dem
Schmecken auch noch das wunderliche Wissen von der
Flüchtigkeit aller Freuden hat. Ihn kümmert eö wenig,
daß er nicht an jedem Börnlein trinken kann, und der
Überfluß ist ihm gewohnt; dafür schaut er auch dem
Verlorenen nicht lange nach und begehrt nicht an
jedem Orte, wo es einmal gut sein war, gleich Wurzeln
zu schlagen. Es gibt solche Lustreisende, die gehen Jahr
für Jahr an dieselben Orte, und es gibt viele, die
können von keinem schönen Anblick Abschied nehmen,
ohne daß sie beschließen, gewiß recht bald wieder her-
zukommen. Das mögen gute Leute sein, aber gute
Wanderer sind sie nicht. Sie haben etwas von der
dumpfen Trunkenheit der Liebeslcute und etwas von
dem sorglichen Sammlcrsinn der Lindenblütenpflücke-
rinnen. Aber den Wandersinn haben sie nicht, den
stillen, ernst-fröhlichen, immer abschiednehmenden.
Hier ist gestern einer durchgewandert, ein reisender
Handwerksbursche, der grüßte in seiner fröhlichen Bettlcr-
freiheit die Sammler und Bewahrer auf eine spöttische
 
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